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2006-09-25


Am 1. September 1915 erschien die erste Nummer der internationalistischen Jugendzeitschrift „Jugend-Internationale“. Dieses kleine Blatt war ein zentrales Werkzeug für die Gründung der Kommunistischen Jugendinternationale im Jahr 1919. Für junge KommunistInnen heute, die die Notwendigkeit erkennen, eine revolutionäre Jugend-Internationale aufzubauen, liefert der erste Versuch, der etwa 90 Jahre zurückliegt, einige wichtige Lehren. Wladek Flakin schrieb…

September 1915. Der Krieg erschüttert Europa. Die Träume von einem „Sieg noch vor Weihnachten” im Blut ertrunken. Das Gemetzel geht ins zweite Jahr. An der Westfront halten sich Millionenheere in Schützengräben in Schach. In der Schlacht von Ypern setzt die deutsche Armee zum ersten Mal in der Geschichte Giftgas ein. An der Ostfront kämpfen Soldaten des Osmanischen Reiches gegen die zaristische Armee im Kaukasus und die britische Armee in Mesopotamien.

In dieser Zeit erscheint in Zürich ein kleine Zeitung unter dem Titel „Jugend-Internationale”, herausgegeben vom „Sekretariat der Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen”.

Mit Zeichnungen von aufständischen ArbeiterInnen oder griechischen Göttinnen und Appellen „an unsere Klassenbrüder” sah dieses Blatt nicht anders als Dutzende andere sozialistische Jugendzeitschriften aus. Aber während die sozialistische Presse in fast allen Krieg führenden Ländern ganz legal verbreitet wurde, wurde die „Jugend-Internationale“ permanent unterdrückt, denn diese Zeitschrift, im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der sozialdemokratischen Bewegung, trat für ein schnelles Ende des Krieges durch eine Revolution ein.

Die Sozialistische Presse

Die sozialistischen Massenparteien hatten für die Dauer des Krieges einen „Burgfrieden”, eine „union sacrée”, eine Pause im Klassenkampf beschlossen. Auch wenn sie nach wie vor ihre Gegnerschaft zum Kapitalismus und dem von ihm verursachten Krieg beschworen, wollten sie während des Krieges „Schlimmeres” verhindern: die französischen Sozialisten verteidigten ihr „demokratisches“ Vaterland gegen „den deutschen Militarismus“, die deutschen Sozialdemokraten verteidigten ihr „zivilisiertes“ Vaterland gegen den „russischen Absolutismus“ usw.

Ihre Hauptparole für die Arbeiterklasse hieß: „Durchhalten!” Erst die Reaktionäre im Nachbarland besiegen, und danach, irgendwann, die herrschende Klasse im eigenen Land stürzen.

Heute sind wir daran gewöhnt, dass SozialdemokratInnen die Kriegsanstrengungen eines imperialistischen Landes unterstützen oder selbst führen: Tony Blair im Irak, Gerhard Schröder in Afghanistan usw. Doch damals hatten die Parteien der Sozialistischen Internationale ein antimilitaristisches Programm; sie waren, zumindest in offiziellen Dokumenten, der proletarischen Revolution verpflichtet.

Auf einem Kongress der Internationale 1907 in Stuttgart wurde eine Resolution beschlossen, im Fall eines Krieges „mit allen Kräften … die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur politischen Aufrüttelung der Volksschichten und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft ausnutzen.“ Der französische Sozialist Hervé drückte es so aus: es sollte „lieber einen Aufstand, als einen Krieg” geben.

Diese Position hatte eine lange Tradition in der Arbeiterbewegung. Schon im Kommunistischen Manifest stellten Marx und Engels fest, dass die Arbeiterklasse kein Vaterland hat. Demzufolge hat sie auch kein Interesse an einen Sieg des „eigenen” Landes (d.h. des Landes, in dem sie ausgebeutet werden). Mit der berühmten Parole: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!” wurde der Internationalismus ein Grundprinzip der sozialistischen Bewegung.

Doch als die deutsche Armee am 4. August 1914 in Belgien einmarschierte und Deutschland, Österreich, Russland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und viele andere Länder Kriegserklärungen durch die Welt schickten, wurden aus den meisten Internationalisten Patrioten. Kaiser Wilhelm versöhnte sich mit seinen Erzfeinden, den SozialdemokratInnen, und sagte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.”

Die Minderheiten

In jeder sozialistischen Partei entstanden revolutionäre Strömungen, die nicht nur ein Ende des Krieges wünschten, sondern auch den Krieg durch klassenkämpferische Aktionen beenden wollten. Der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht rief die deutsche Arbeiterklasse zum Kampf gegen die eigene Regierung mit dem Flugblatt auf: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.”

Die Sozialistische Internationale, die kurz zuvor unerschütterlich schien, war komplett zerbrochen. Während die Sozialpatrioten der Krieg führenden Staaten bemüht waren, die ArbeiterInnen für das gegenseitige Abschlachten zu begeistern, war ein internationaler Kongress natürlich nicht möglich. Nur Minderheitsströmungen wie die russischen Bolschewiki, die deutsche Gruppe Internationale, Teile der Sozialistischen Partei Italiens und andere erkannten die Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnen aller Länder für ein Ende des Krieges zusammen kämpfen mussten.

Aber die Jugendorganisationen der Sozialistischen Parteien konnten in ihrer Mehrheit für diese internationalistische Perspektive gewonnen werden. Schon zu Ostern 1915 kamen sozialistische Jugendorganisationen aus neun Ländern, die zusammen etwa 50.000 Mitglieder zählten, in der Schweiz in Bern zusammen, um eine neue Verbindung aufzubauen. Sie gründeten ein Büro in Zürich und beschlossen Aktionstage gegen den Krieg sowie die Herausgabe der Zeitung “Jugend-Internationale”.

Die „Jugend-Internationale”

Diese Zeitung stand in klarer Opposition zum imperialistischen Krieg und ihren “sozialistischen” Verteidigern. In jeder Nummer argumentierte sie dafür, „durch Wiederaufnahme des Klassenkampfes dem schrecklichsten aller Kriege ein Ende zu bereiten”. Die jungen ArbeiterInnen aller Länder sollten sich nicht als Feinde auf dem Schlachtfeld sondern als Freunde im Klassenkampf sehen. Um Gefühle der Solidarität auf beiden Seiten der Front zu erwecken, wurde regelmäßig von Aktionen gegen den Krieg in allen Ländern berichtet.

Die Jugend-Internationale wurde in einer deutschen, italienischen und schwedischen Ausgabe veröffentlicht. Bis zum Kriegsende kamen englische, russische, ungarische, norwegische, dänische und jiddische Ausgaben hinzu. Die legale Auflage betrug 50.000. Sie wurde in neutralen Ländern wie der Schweiz oder in Skandinavien verbreitet. In Deutschland, Italien und anderswo wurden zehntausende Exemplare illegal nachgedruckt.

Die erste Nummer beinhaltete Artikel von Balabanoff, Bernstein, Kollontai, Radek, Rühle und anderen, noch heute bekannten RevolutionärInnen. Später kamen auch Beiträge von Lenin, Trotzki, Sinowjew und unzähligen jungen Korrespondenten aus ganz Europa und Nordamerika hinzu.

Karl Liebknecht erschien in der Jugend-Internationale besonders oft: als Autor von Briefen aus dem Zuchthaus, wo er wegen seiner antimilitaristischen Agitation eingesperrt war, oder als Objekt von Solidaritäts- und Spendenaufrufen.

Die Aktionstage

Die Jugend-Internationale war kein reines Propagandablatt. Die Zeitung sollte helfen, Massenaktionen gegen den Krieg zu organisieren und die ersten Steine einer neuen Internationale zu legen. Die erste Nummer hatte als Schwerpunkt den internationalen Jugendtag am 3. Oktober 1915, der von der Jugend-Konferenz in Bern ausgerufen wurde. An diesem Tag fanden Kundgebungen in Dänemark, Norwegen, Schweden, den USA, Deutschland (wo sie als “Hindenburgfeier” getarnt wurden), Holland und der Schweiz statt. Die jungen KriegsgegnerInnen verteilten hunderttausende Flugblätter und verkauften zehntausende „Jugend-Internationalen”.

Die Zeitung erklärte stets, dass der Krieg durch die Widersprüche der imperialistischen Weltordnung verursacht wurde. Nicht etwa böswillige oder inkompetente Diplomaten (und schon gar nicht die „Barbaren von der anderen Seite”) waren für den Krieg verantwortlich, sondern der Drang nach wirtschaftlicher Expansion, der Kampf um Einflusssphären, Kolonien und Absatzmärkte, die jeder imperialistische Staat benötigt. Deshalb waren pazifistische Projekte wie „Friedenskonferenzen” oder „Entwaffnungsappelle” reine Träumereien: der Krieg konnte nur gestoppt werden, wenn die ArbeiterInnen den Kapitalismus stürzen.

Die Rolle der Jugend beim Kampf gegen Kapitalismus wurde immer wieder hervorgehoben. Es waren junge Männer, die millionenfach starben, um die Profite „ihrer” Kapitalisten zu sichern. Junge Frauen mussten die Doppelbelastung der „normalen“ Hausarbeit und der Kinderbetreuung auf sich nehmen und zusätzlich schwere Arbeit in der Rüstungswirtschaft leisten, während sie gleichzeitig hungerten.

Junge ArbeiterInnen waren die TrägerInnen der Streiks, die in Italien und Russland zu Beginn des Krieges, in Deutschland und Frankreich gegen Ende ausbrachen.

Jugendliche waren schneller bereit, ihre Freiheit für antimilitaristische Aktionen zu riskieren. Sie spürten weniger Loyalität gegenüber den sozialdemokratischen Führern, die ihre AnhängerInnen zum „Dienst fürs Vaterland” aufriefen. Deshalb argumentierte die „Jugend-Internationale” für eigenständige Jugendorganisationen, unabhängig von den Parteibürokratien, die nichts als passive und unpolitische Nachwuchsvereine wollten. Stattdessen sollten sich Jugendliche selbst organisieren und für ihre eigenen Interessen kämpfen – für ein Ende des Krieges!

Die Jugendinternationale

So wurde die Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen während des Krieges aufgebaut; bis Kriegsende zählte sie über 200.000 Mitglieder.

Die Bedeutung der Jugend-Internationale wurde nicht nur von revolutionär gesinnten Jugendlichen, sondern auch von staatlicher Seite anerkannt. Seit dem ersten Erscheinen war die Zeitung in allen Krieg führenden Ländern verboten. Junge SozialistInnen mussten ihre politische Arbeit mit jahrelangen Gefängnisstrafen büßen – führende Mitglieder der sozialistischen Jugend Italiens wurden wegen des ersten Jugendtages zu 22 Jahren Haft verurteilt! Im Frühjahr 1918 verboten auch die Schweizer Behörden die Zeitung. Der Herausgeber Willi Münzenberg, ein Kriegsdienstverweigerer mit deutscher Staatsbürgerschaft, wurde ausgewiesen. Über die Zeitung wurde auch die Kampagne für seine Freilassung aus der deutschen Haft (glücklicherweise nicht „Free Willi” genannt) organisiert.

Erst nach dem Krieg, während der Aufstände des Jahres 1919, wurde die neue, Kommunistische Internationale in Moskau gegründet. Kurz danach benannte sich die „internationale Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen“ auf einer Konferenz in Berlin in „Kommunistische Jugendinternationale“ um. Die Jugendorganisationen schlossen sich der jeweiligen Kommunistischen Partei an. Aber die Kommunistische Jugendinternationale war unabhängig: im Gegensatz zu den Jugendvereinen der Sozialdemokratie hatten die kommunistischen Jugendorganisationen eigene Strukturen, Kongresse, Publikationen usw. Das war wichtig, damit Jugendliche lernen konnten, sich selbstständig, ohne Befehle von Älteren, zu organisieren.

Durch dieses Prinzip der Unabhängigkeit konnten diverse sozialistische Jugendverbände, die eine kritischere Haltung zur „Mutterpartei” hatten, für die neue Komintern gewonnen werden.

Die Lehren

Der Ton der „Jugend-Internationale“, der unerschütterliche Glaube an die sozialistische Zukunft, ist heutzutage sicher nicht in Mode. Aber selbst während der beispiellosen Schlächterei des Ersten Weltkriegs war eine solche Hoffnung richtig: bevor die Zeitung im Frühjahr 1918 endgültig verboten wurde, hatten die Arbeiter- und Bauernmassen Russlands den Kapitalismus gestürzt und die bürgerliche Regierung durch Arbeiterräte ersetzt.

Jede Krise des Kapitalismus trägt auch die Keime seiner Überwindung in sich. Die Bewaffnung der russischen Bauern in der zaristischen Armee und die Konzentrierung der Industriearbeiter für die Kriegsproduktion, was eigentlich zur Bekämpfung der Deutschen gedacht war, diente letztendlich dem Kampf gegen die russische Regierung. Und die Unterstützung des deutschen Generalstabs für russische Revolutionäre, die die St.-Petersberger-Regierung destabilisieren sollte, schlug in die Novemberrevolution in Berlin und den Sturz von Kaiser Wilhelm um.

Die internationalen Jugendtage, die von der „Jugend-Internationale” organisiert wurden, erinnern sehr stark an die internationalen Aktionstage der letzten Jahre, z.B. als Hunderttausende SchülerInnen überall auf der Welt gegen den Irak-Krieg streikten. Solche Aktionen können nicht nur Gefühle der internationalen Solidarität, sondern auch grenzüberschreitende Vernetzungen schaffen, die den Kampf gegen Krieg und Kapitalismus auf eine höhere Stufe stellen.

Wenn wir gegen die Kapitalisten im eigenen Land und weltweit gewinnen wollen, müssen wir uns die Erfahrungen von Jugendlichen und ArbeiterInnen in anderen Ländern zu eigen zu machen. Deshalb organisieren wir von REVOLUTION uns über Landesgrenzen hinweg. Mit unserer Zeitung sind wir bemüht, über Proteste in anderen Ländern zu berichten, und unser Manifest reflektiert die Erfahrung von kommunistischen Jugendlichen von mehreren Kontinenten.

In den letzten Jahren konnten wir die Entstehung einer weltweiten antikapitalistischen Bewegung beobachten, mit Protesten gegen G8, IWF, WTO, sowie mit Welt-, kontinentalen und nationalen Sozialforen. Die zunehmenden Aggressionen des Imperialismus – nicht nur der USA im Irak, sondern auch der BRD in Afghanistan, Frankreichs in Afrika – machen es notwendig, dass wir uns besser organisieren. Die Jugendlichen, die in Bolivien gegen Privatisierung, im Irak gegen die Besatzung, in Deutschland gegen Faschismus kämpfen, müssen sich in einem allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus zusammenschließen!

Kurz: Die Zeit ist reif für eine neue Jugend-Internationale! Deshalb rufen wir alle Jugendorganisationen, die etwas gegen die herrschenden Verhältnisse tun wollen, dazu auf, eine globale revolutionäre Organisation aufzubauen!

Die Worte der russischen Revolutionärin Alexandra Kollontai (aus „Jugend-Internationale“ Nr. 1) haben auch heute noch volle Gültigkeit:

„Die richtige, die feste Basis der neuen Internationale kann nur die sozialistische Jugend bilden. Die Jugend, die Träger der Zukunft; die Jugend, die so wenig an der Vergangenheit hängt und die alles vom kommenden Leben, von der Zukunft erwartet; … die Jugend, deren Herz nicht mit kleinbürgerlichen Gefühlen verpestet ist und deren Denken nicht mit der Ideologie eines vergangenen Zeitalters irregeführt werden kann … Die frische, mutige, revolutionäre, opferwillige Arbeiterjugend, die vorwärts, immer vorwärts drängt!”

 

Quelle…

Erstmals veröffentlicht: REVOLUTION, Nr. 11, November 2005, Berlin
Abgeschrieben: http://www.revolution.de.com/
revolution/0509/jugendinternationale



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