Prinzipien revolutionärer Jugendorganisation
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Mit dem Aufkommen der antikapitalistischen Bewegung Ende der 1990er Jahre hat die Liga für die Fünfte Internationale (LFI) begonnen, REVOLUTION als unabhängige Jugendorganisation aufzubauen. Sich auf Lenin stützend, traten sie für die „vollständige Unabhängigkeit der Jugendorganisationen“ ein. Doch das Umsetzen dieser Prinzipien erwies sich als weit schwieriger als das Propagieren. Eine Resolution vom 6. Kongress der LFI wurde von Luke Cooper zusammengefasst…
Lenin und Trotzki waren der Ansicht, dass revolutionäre Jugendorganisationen zwar in politischer Solidarität mit revolutionären kommunistischen Parteien und einer Internationale stehen, jedoch frei von jeglicher Bevormundung und Dominanz sein sollen. Unabhängigkeit mit voller Verantwortung für die eigenen Entscheidungen, Erfolge und Niederlagen erschien ihnen als bestmögliche Einführung Jugendlicher in Politik und Klassenkampf. Darüber hinaus sollten revolutionäre Jugendliche eine wesentliche Rolle darin spielen, Parteien und Gewerkschaften auf einem mutigen und revolutionären Kurs zu halten.
2003 sahen wir eine Welle von Jugendradikalisierungen. Millionen junger Leute nahmen den Kampf gegen Krieg, Imperialismus und Kapital auf. Dass die Jugend wieder an der Spitze der Massenbewegung steht, wurde während der Demonstrationen am 15. Februar 2003 deutlich, als mindestens 20 Millionen Menschen in jeder größeren Stadt weltweit auf die Straße gingen. In diesen Protesten zeigte sich das Entstehen einer neuen Generation, die ihre Ablehnung für den imperialistischen Krieg auf der Straße zum Ausdruck bringt. Etwas später, als der Krieg begann, wurde dies auch in einer Welle von Schülerstreiks quer durch Europa, die USA, Australien und den Nahen Osten deutlich.
Für Revolutionäre und Revolutionärinnen war lediglich das Ausmaß dieser Radikalisierung überraschend, keineswegs die Tatsache als solche. Denn selbst ein kurzer Blick in die Geschichte verdeutlicht, dass gerade junge Menschen empfänglich für radikale Ideen, militanten Kampf, sogar den revolutionären Kommunismus waren und sind. Warum teilen sie nicht die konservativere Haltung älterer ArbeiterInnen? Ganz einfach, sie waren noch nicht jahrelang der vollen Wucht bürgerlicher Ideologie, den entmutigenden Erlebnissen angehäufter Niederlagen und dem Einfluss des Reformismus innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung ausgesetzt. All das trägt dazu bei, ArbeiterInnen vor der vermeintlichen Unmöglichkeit eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels resignieren zu lassen. Und dieser Radikalismus endet nicht, wenn sie die Schule verlassen. So haben etwa viele Journalisten auf die jungen italienischen MetallarbeiterInnen in FIOM hingewiesen, die aus Protest gegen den Mord an Carlo Giuliani (Genua) in den Streik traten, und dann, in den folgenden zwei Jahren, eine Reihe von Streiks für ihre eigenen Anliegen anführten.
Jugendliche sind naturgemäß um die Zukunft besorgt, sie reagieren empfindlich auf Ungerechtigkeit und Leid und ungeduldig auf die gähnende Kluft zwischen den hochtrabenden Versprechungen der Herrschenden, deren Gleichgültigkeit gegenüber Leid und deren schockierende Grausamkeit.
Doch die Jugend ist nicht nur für die Anliegen anderer zu begeistern, sie hat auch ihre eigenen Schlachten zu schlagen. Der Kapitalismus unterwirft sie einer systematischen Unterdrückung. Kaum Rechte, finanziell abhängig von der Familie, das Sexualleben ignoriert oder verleugnet, autoritäre Erziehung, überausgebeutet in perspektivlosen Niedriglohnjobs oder als Auszubildende (Lehrlinge) – dies alles stempelt Jugendliche zu BürgerInnen zweiter Klasse. Oft lassen ihre Jobs praktisch keine gewerkschaftliche Organisierung zu, und schaffen sie doch den Weg in die Gewerkschaften, werden sie auch dort diskriminiert. Das gilt selbst für politische Organisationen. Für die bürgerliche Gesellschaft ist dies die natürliche Last der Jugend, denn “auch wir mussten da durch, als wir jung waren” und außerdem “das geht vorbei”.
Die große Zahl junger Leute in der Anti-Kriegsbewegung spiegelt die Tatsache wider, dass Jugendliche ein direktes Interesse an der Ablehnung von Militarismus und Krieg haben: Unter ihnen sind die meisten Kriegsopfer zu beklagen. Viele Staaten ziehen sie mit 16 oder 18 zum Militärdienst ein, noch ehe sie von zivilen Rechten Gebrauch machen konnten: alt genug zum Sterben, aber zu jung zum Wählen. In den Bürgerkriegsregionen der südlichen Hemisphäre werden Kinder zum Militärdienst oder zum Einsatz als Paramilitärs gezwungen, sobald sie eine Waffe tragen können. Das Chaos dieser Kriege mit Vergewaltigungen, ethnischen Säuberungen und die Verantwortung für Kinder und Alte bürdet jungen Frauen eine große Last auf.
Es gibt vieles, gegen das es sich zu kämpfen lohnt, und junge Menschen kämpfen in stets wachsender Zahl und mit wachsendem Radikalismus. Dieses Engagement nützt nicht nur jungen Menschen, es kann auch die älteren Generationen nach schweren Niederlagen wieder motivieren, sie wieder zum Kampf ermutigen und das Vertrauen der Arbeiterklasse in ihre Fähigkeit, die Welt zu verändern, wieder herstellen.
Die revolutionäre Jugendorganisation
Die spezifischen Lebens-, Lern- und Kampfbedingungen schaffen Hindernisse für die Gewinnung junger AktivistInnen für die revolutionäre Partei. Spezielle Agitationsformen und Organisationsmethoden sind erforderlich, will die revolutionäre Organisation nicht immer ‘älter’ werden und weniger in der Lage sein, sich auf Leben und Nöte der Jugend zu beziehen. Deshalb entwickelte die revolutionäre Arbeiterbewegung bestimmte, auf die Jugend ausgerichtete Publikations- und Aktionsformen sowie spezielle Formen der Jugendorganisation und -bewegung. Der revolutionäre Flügel der Bewegung betrachtete diese Strukturen nicht einfach als Kopie der Partei, und auch nicht als streng untergeordnet, sondern als eigenständige Organisationen. Während die Jugendorganisationen organisatorisch von der Partei unabhängig sein sollten, kämpfen junge revolutionäre Parteikader in diesen Organisationen für die politische Solidarität mit revolutionären Parteien und internationalen Organisationen. Diese unabhängige Organisationsform sollte Jugendliche in das Umfeld der Partei führen und ihnen ermöglichen, unabhängig von den Erwachsenen zu lernen und Erfahrungen zu machen.
Die politische Theorie hinter der organisatorischen Unabhängigkeit wurde von den Bolschewiki am Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Die Bolschewiki selbst wiesen ein sehr junges Altersprofil auf. 1907 waren 60% ihrer Mitglieder unter 25 und ein Fünftel Teenager, während bei ihren politischen Rivalen, den Menschewiki, nur ein Drittel der Mitglieder unter 25 und nur 5% Teenager waren. Darüber beschwerten sich die Menschewiki auf sehr bevormundende Weise: Die Bolschewiki seien bloß unreife Jugendliche, meinten sie.
In seiner Verteidigung der Partei gegen die Anschuldigung, die Bolschewiki hätten keine erfahrenen Kader in ihren Reihen, verweist Lenin auf Engels:
„Larin beklagt sich darüber, daß in unserer Partei die Arbeiterjugend überwiegt, dass wir wenig verheiratete Arbeiter haben, daß sie die Partei meiden. Diese Klage eines russischen Opportunisten erinnert mich an eine Stelle bei Engels (wenn ich nicht irre, in ’Zur Wohnungsfrage’). Engels entgegnet einem trivialen bürgerlichen Professor, einem deutschen Kadetten, und schreibt: Ist es nicht natürlich, daß bei uns, in der Partei der Revolution, die Jugend überwiegt? Wir sind die Partei der Zukunft, die Zukunft gehört der Jugend.” 1
Tatsächlich war es die jugendliche Zusammensetzung der Bolschewiki, die ihnen die Fähigkeit verlieh, mutig und selbstaufopfernd dem enormen Druck des bürgerlichen Patriotismus am Beginn des Ersten Weltkrieges zu widerstehen. Und diese junge Partei führte auch die Oktoberrevolution an. Quer durch Europa leiteten die Jungen den Kampf gegen die Verräter der Zweiten Internationale ein, als diese ihre Vorkriegsversprechen brachen und den imperialistischen Krieg unterstützten. Die Mehrheit der Sozialistischen Jugendinternationale brachte 1915/16 ihre patriotische Führung zu Fall und beteiligte sich an der Anti-Kriegsbewegung und der Bewegung für eine neue Internationale. Lenin und die Bolschewiki verteidigten und unterstützten diese Revolte. Eigentlich hatte diese Revolte gegen den Opportunismus in den Jugendorganisationen der Sozialistischen Internationale schon vor dem Krieg begonnen. In Belgien, Deutschland, Italien und Frankreich setzten sich junge Revolutionärinnen und Revolutionäre für die Unabhängigkeit der Jugendlichen von der bürokratischen Partei und den Gewerkschaftsführungen ein. Deren Führungen hassten die Unabhängigkeit und den Radikalismus der Jugendorganisationen und versuchten alles, um sie einer strengen Kontrolle zu unterwerfen. Lenin stellte sich auf die Seite der jugendlichen Rebellen und gegen die alten Bürokraten.
So beobachtete Lenin 1916: „Es kommt oft vor, daß Vertreter der Generation der Erwachsenen und Alten es nicht verstehen, in richtiger Weise an die Jugend heranzutreten, die sich zwangsläufig auf anderen Wegen dem Sozialismus nähert, nicht auf dem Wege, nicht in der Form, nicht in der Situation wie ihre Väter. Das ist einer der Gründe, warum wir unbedingt für die organisatorische Selbständigkeit des Jugendverbandes eintreten, nicht nur deshalb, weil die Opportunisten diese Selbständigkeit fürchten, sondern auch dem Wesen der Sache nach. Denn ohne vollständige Selbständigkeit wird die Jugend nicht imstande sein, sich zu guten Sozialisten zu entwickeln und sich darauf vorzubereiten, den Sozialismus vorwärts zu führen.” 2
So war organisatorische Unabhängigkeit für die Bolschewiki ein Prinzip, das nicht nur auf die Jugendsektionen der reformistischen Parteien zutraf, sondern auch auf jene zu gründenden der KommunistInnen. Sie hielten nicht nur das Recht der Jugendverbände der Zweiten Internationale auf Unabhängigkeit von der Kontrolle des zentristischen, reformistischen und sozialpatriotischen Internationalen Büros hoch, sondern propagierten es für die neue Internationale, die sie gerade gründen wollten. So pochte auch die Dritte (Kommunistische) Internationale darauf, dass, selbst wo ihre Jugendorganisationen freiwillig entschieden hatten, sich den kommunistischen Parteien anzuschließen, an deren politischen Diskussionen und Strukturen teilzunehmen und an deren demokratische Entscheidungen gebunden zu sein, die organisatorische Selbständigkeit erhalten bleiben müsse.
„Die Aufgabe der politischen Selbständigkeit bedeutet auf keinen Fall den Verzicht auf die organisatorische Selbständigkeit, die aus erzieherischen Gründen unerläßlich ist.“ 3
Dies bedeutet, dass die Jugendorganisationen selbst die Entscheidung treffen sollten, die Führung der Partei anzuerkennen. Stimmten sie diesen Entscheidungen nicht zu, so hatten sie das Recht, die formellen Verbindungen abzubrechen. Erst als die bürokratische ‘Bolschewisierungs’kampagne vom Fünften Kominternkongress lanciert wurde, wurde diese organisatorische Unabhängigkeit abgeschafft – mit katastrophalen Folgen für die revolutionäre Erziehung der jungen KommunistInnen und das Schicksal der Internationale.
Mit der organisatorischen Unabhängigkeit nicht verwechselt werden sollte die Frage, ob die Jugendorganisation sich der revolutionären Partei formal anschließen und an ihre politischen Beschlüsse gebunden sein sollte. Dies ist im Zusammenhang mit der Entwicklung der revolutionären Bewegung im jeweiligen Land zu beurteilen. Die kommunistische Internationale widmete sich dieser Frage zum ersten Mal auf ihrem zweiten Kongress im August 1920. Massenorganisationen der proletarischen Jugend hatten mit den sozialdemokratischen und zentristischen Parteien gebrochen und den Weg des Kampfes gegen den imperialistischen Ersten Weltkrieg und die Sozialverräter eingeschlagen. Sie sammelten sich um die Verteidigung der russischen Revolution.
So fand parallel zum zweiten Kongress ein Delegiertentreffen statt, das sich als neue Kommunistische Jugendinternationale konstituierte. Auf einem gemeinsamen Treffen mit JugendvertreterInnen wurden vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Thesen zur Jugendbewegung angenommen. Diese Thesen erläuterten das geeignete Verhältnis zwischen Jugendorganisation und revolutionärer Partei auf nationaler wie internationaler Ebene. Die Thesen beharrten abermals eindeutig auf der organisatorischen Unabhängigkeit der Jugendbewegungen:
„Die ganze Geschichte der proletarischen Jugendbewegung in jedem Land zeigt, dass nur unabhängige, d.h. sich selbst verwaltende Jugendorganisationen kühne und entschlossene revolutionäre KämpferInnen sowie schlaue OrganisatorInnen der proletarischen Revolution und Rätemacht entwickeln. Im Gegenteil dazu führt die Praxis der Vormundschaft der Sozialpatrioten über die Jugend zu einer opportunistischen, kleinbürgerlichen Entwicklung.” 4
Die Thesen befassten sich im Weiteren mit dem Punkt der politischen Unabhängigkeit. Sie legten dar, dass in Ländern, wo die Arbeiterklasse noch keine starke revolutionäre Partei aufgebaut hatte und „wo die Gründung kommunistischer Parteien immer noch im Fluss sei und die Jugendverbände gerade von den sozialpatriotischen und zentristischen Parteien wegbrechen, unsere Parole die der absoluten politischen Unabhängigkeit der Jugendbewegung ist. Unter solchen Bedingungen ist dieser Slogan objektiv revolutionär!” 5
Die Bolschewiki erkannten, dass in Abwesenheit einer größeren revolutionären Partei die Jugend eine Vorreiterrolle beim Sammeln der Opposition gegen den Krieg und gegen die Organisationen des Verrats spielen konnte und spielte. Unabhängigkeit und Aktionsfreiheit der revolutionären und antiimperialistischen Jugend war für die Entwicklung einer starken, revolutionären, von Reformismus und Zentrismus unbelasteten Bewegung darum äußerst wichtig. Kurz gesagt, die politische Unabhängigkeit der Jugendbewegung erlaubte es den revolutionären Elementen in diesen, ihre Ansichten zu verbreiten und eine Kampagne um die Führung zu organisieren. Darüber hinaus konnte sie, zusammen mit Abspaltungen aus den reformistischen Organisationen, eine wesentliche Kraft in der Schaffung einer neuen, kommunistischen Partei darstellen.
In etlichen Ländern jedoch war die Arbeiterbewegung durch die Bemühungen des antiimperialistischen linken Flügels der Sozialdemokratie, durch den Einfluss der Kommunistischen Internationale, durch die Anziehungskraft der siegreichen russischen Revolution und die Anstrengungen der Jugend selbst erfolgreich in der Formierung starker revolutionär-kommunistischer Parteien. Unter solch günstigen Umständen fiel die Avantgardefunktion bei der Organisierung des Machtkampfes der Arbeiterklasse nicht mehr der Jugend zu, sondern der schon bestehenden Vorhutpartei der Arbeiterklasse. Also stellen die Thesen weiter fest: „Die Parole der absoluten Unabhängigkeit ist aber in Ländern falsch, wo es bereits starke kommunistische Parteien gibt und diese Losung von Sozialpatrioten und Zentristen gegen die kommunistische Jugend eingesetzt wird und um sie irrezuführen. Dort haben sich die kommunistischen Jugendverbände auf das Programm der kommunistischen Partei gestellt.”
War dies ein Beispiel für zweierlei Maß oder Zynismus? Nicht im geringsten. Erstens, wie wir gesehen haben, bestand die Komintern auf der fortgesetzten organisatorischen Unabhängigkeit der Jugend in jedem Land. Zweitens lehnte die Komintern die Bevormundung der Jugend, eine kommandierende und gönnerhafte Einstellung ab, die zwischen Partei und Jugendorganisation die Beziehung zwischen Schüler und Meister reproduziert, die typisch ist für bürgerliche Bildungsinstitutionen, die Situation am Arbeitsplatz oder in der Familie. Drittens sollten die Jugendlichen, anders als in reformistischen und zentristischen Parteien, als Gleiche an den internen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen in der Partei selbst teilhaben. Viertens sollte diese Bindung der organisatorisch unabhängigen Jugendbewegung zur Partei ein Produkt der freiwilligen Entscheidung der Jugendlichen selbst sein, die frei und demokratisch, und nicht durch Ausüben von Kommando oder Kontrolle, für Programm und Projekt der Partei gewonnen werden sollten:
„In allen Ländern, wo alte und aktive kommunistische Parteien existierten, wurde eine starke Beziehung zwischen der kommunistischen Partei und der kommunistischen Jugendorganisation begründet. Die dabei angenommene Form sah so aus, dass die kommunistische Jugendorganisation das Programm der kommunistischen Partei annahm und im Rahmen seiner politischen Positionen operierte. In diesen Fällen verfügten (1) die Jugendlichen über eine eigene zentralisierte Organisation; entschieden (2) selbst, wie sie ihre organisatorischen, agitatorischen und propagandistischen Aktivitäten ausführten; (3) welchen Platz sie im politischen Kampf einnahmen und die Formen ihrer Teilnahme; (4) diskutierten sie die wesentlichen politischen Fragen. Alle Jugendorganisationen müssen dieses Verhältnis zur kommunistischen Partei herstellen, aber nicht durch Zwang seitens der Partei, sondern durch Überzeugung und eigene freie Entscheidung.”
Die Thesen legten auch fest, dass die Kommunistische Jugendinternationale (KJI), die alle kommunistischen Jugendverbände vereinigte, Bestandteil der Kommunistischen Internationale sein sollte. Die KJI und ihre nationalen Gruppen sollten „an den Kongressen der Kommunistischen Internationale teilnehmen. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) und die Jugendinternationale tauschen Repräsentanten mit Stimmrecht aus.”
Das Ziel der KJI war „die zentralisierte Führung der kommunistischen Jugendbewegung,Unterstützung der nationalen kommunistischen Jugendgruppen, die Bildung kommunistischer Jugendgruppen, wo noch keine existieren und internationale Agitation um die Ideen des Kommunismus und der Jugendbewegung herum.”
Als voll teilhabender „Bestandteil der Kommunistischen Internationale” mit allen Rechten „ordnet sich die KJI als solche den Entscheidungen der Kongresse der Kommunistischen Internationale und den politischen Richtlinien seines Exekutivkomitees unter”. Nichtsdestotrotz „setzt sie ihre Arbeit aus Führung, Organisation, Stärkung und Verbreiterung der Jugendinternationale selbstständig um”.
Das Verhältnis der Jugendorganisation zu revolutionären Gruppen heute
Ist die politische Unabhängigkeit nur für sich nach links entwickelnde Jugendliche anwendbar, die mit reformistischen oder zentristischen Parteien in Verbindung stehen? Ist politische Abhängigkeit immer das richtige Verhältnis einer Jugendorganisation, die mit einer revolutionären Gruppe verbunden ist, egal wir groß letztere ist und unabhängig von ihrer Entwicklung in eine wirkliche Partei der Arbeitervorhut? Dies anzunehmen wäre schematisch und falsch.
1938 riet Trotzki der SWP (US-Sektion der Vierten Internationale), einer Kaderorganisation mit guten proletarischen KämpferInnen aber keinesfalls eine Massenorganisation, dass im Frühstadium der Entwicklung einer revolutionären Jugendgruppe eine flexible Haltung eingenommen werden sollte. In seinen Worten spiegelt sich der Ansatz, den Lenin 1916 vertrat:
„…wenn wir an die jungen GenossInnen mit einem allgemeinen Konzept wie diesem herantreten: Jungen und Mädchen, ihr handeltet vortrefflich gegen die Sozialistische Partei, weil sie eine schlechte Partei war; aber wir sind eine gute Partei. Vergesst das nicht. Ihr dürft nicht gegen uns sein. Wie könnt ihr sie mit einem solchen allgemeinen Konzept überzeugen? Es ist sehr gefährlich. Ihr glaubt, es ist eine gute Partei, aber wir nicht! Ja, wir sind gegen Avangardismus, insoweit er gegen uns gerichtet ist. Dann werden sie antworten, ihr seid Bürokraten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist sehr gefährlich. Theoretisch ist es korrekt wie die Disziplinfrage. Eiserne, stählerne Disziplin ist absolut notwendig, aber wenn der Apparat einer jungen Partei solch eiserne Disziplin am ersten Tag zu verlangen beginnt, kann er die Partei verlieren. Es ist nötig, Vertrauen in die Partei allgemein zu bilden, weil die Leitung nur ein Ausdruck der Partei ist…” 6
Was können wir daraus für die heutige Situation lernen? In keinem Land hat bislang die Arbeiteravantgarde eine revolutionäre kommunistische Partei gegründet. In den letzten Jahren erleben wir zeitweilig eine Schwächung von Linksreformismus und Stalinismus als Massenkräfte. Auch der Anarchismus, der in den späten 1990ern und Anfang dieses Jahrtausends einen Aufschwung erfahren hatte, zeigt Anzeichen von Schwäche aufgrund seiner Unfähigkeit, reale Massenkämpfe anzuführen und den Reformismus zu bekämpfen. Die Erfahrungen der Jugend in der Antikriegsbewegung waren sehr wertvoll. Gerade diese Situation hat eine heterogene Massenbewegung gegen Krieg, Kapitalismus, Rassismus und Imperialismus hervorgerufen, mit Massenmobilisierungen der Jugend, die von keiner politischen Kraft hegemonisiert werden.
Die heutige Situation kommt jenen Verhältnissen in den Thesen des Zweiten Kongresses am nächsten, in denen eine Jugendradikalisierung und das Fehlen kommunistischer Massenparteien die Jugend in die Vorhut drängen. Unsere Aufgabe besteht deshalb darin, Massenorganisationen der revolutionären Jugend zu initiieren und aufzubauen, unabhängig von den Apparaten des Reformismus und Zentrismus, und ihnen zu helfen, den Weg zum revolutionären Kommunismus einzuschlagen.
Dabei ist es zentral, die Jugendorganisationen für den revolutionären Kommunismus zu begeistern und diese Begeisterung aufrecht zu erhalten. Es ist daher die Aufgabe von Revolutionärinnen und Revolutionären in diesen Organisationen, für ihr Programm zu kämpfen, eine politische und praktische Führung im Kampf zu bieten und Respekt für die eigene Politik, Methode und Kampfkraft zu gewinnen. KommunistInnen müssen danach streben, die Jugendorganisation für die formale Zustimmung zu unserem Programm, für den Kampf für eine neue, Fünfte Internationale und für die Schaffung revolutionärer Parteien gestützt auf ein Übergangsprogramm für die sozialistische Revolution zu gewinnen.
Also stellt sich die Frage, sollten revolutionäre Jugendorganisationen heute den nationalen Sektionen der kommunistischen Gruppierungen angehören, auch wenn diese sich noch im Stadium kleiner kämpfender Propagandagruppen befinden? Nein, das wäre taktisch naiv. Revolutionärinnen und Revolutionäre sollten sich dafür einsetzen, dass die Jugendorganisationen die politische Solidarität mit den Aktionen und dem Programm der kommunistischen Kaderorganisation zum Ausdruck bringen, nicht aber dass diese sich den Entscheidungen solcher Gruppen unterordnen. Schließlich müssen wir breitere Kräfte für die revolutionäre Jugendbewegung gewinnen als jene, die schon zu Beginn die Anleitung durch kleine Propagandagesellschaften akzeptieren, wo sie noch keinen Teil der Massen anführen und die Überlegenheit ihres Programms gerade durch Führung von Sektoren der Arbeiterklasse in der Praxis nicht demonstrieren können. Die Solidarität der Jugendorganisation muss aber durch das Programm und den Kampf der revolutionär-kommunistischen Kräfte in der gemeinsamen Aktion und programmatischen Debatte gewonnen werden.
Gibt es in einem bestimmten Land keine revolutionäre Partei, so heißt dass nicht, dass die revolutionäre Jugendbewegung in keinem Bezug zum Aufbau einer revolutionären Partei stünde oder die Jugendbewegung lediglich ein Pool an zukünftigen Rekrutinnen und Rekruten wäre. Im Gegenteil, wo es keine revolutionäre Partei gibt, muss die revolutionäre Jugendorganisation zu einem Werkzeug für ihren Aufbau werden.
Die revolutionäre Jugendinternationale und die Fünfte Internationale
Durch die antikapitalistische und die Anti-Kriegsbewegung entstand eine Vorhut, vornehmlich junger AktivistInnen, die das Potential zur Schaffung einer neuen revolutionären Massenjugendinternationale hat. Diese könnte wiederum eine beschleunigende Wirkung auf die Herausbildung neuer revolutionärer Massenorganisationen der Arbeiterklasse haben. In bestimmten Ländern, etwa Italien, wo junge Arbeiterinnen und Arbeiter in den Kämpfen der Arbeiterklasse eine prominente Rolle eingenommen haben, könnten sie tatsächlich den Kern bilden, um den sich solche Parteien formieren. Doch der Charakter der “Bewegung der Bewegungen” ist derart, das diese Unzahl junger Menschen über keine internationale Organisation verfügt, die einen Attraktionspol für alle in der Bewegung aktiven Jugendlichen darstellt. So zeichnen sich gerade die beiden Bewegungen, die antikapitalistische und die gegen den Krieg, durch eine Masse nicht-organisierter Individuen aus, die bereit sind, sich an Aktionen gegen Neoliberalismus und Krieg zu beteiligen, aber noch nicht bewusst für die Politik einer der beteiligten Tendenzen eintreten möchten.
Das Fehlen einer Massenjugendorganisation auf internationaler Ebene, egal ob reformistisch, zentristisch oder revolutionär, hat dazu geführt, dass die jugendliche militante Mehrheit, die in den vergangenen Jahren bei den großen antikapitalistischen und Anti-Kriegsmobilisierungen auf die Straße ging, keine wahrnehmbare Stimme in jenen Foren hatte, in den die Bewegung sich mit Programm und Strategie auseinander setzte. Bei den Sozialforen in Porto Allegre, Florenz, Hyderabad, Paris und Mumbai dominierten zwar junge Leute in den Zuhörerreihen der Workshops, Seminare und großen Plena, auf den Podien jedoch fanden sich die traditionellen „alten” Akademiker, Journalisten und Politiker der Linken der Post-1960er-Generation. Das sind nicht jene Leute, die auf der Straße im Widerstand gegen die neoliberale Agenda ihre Haut riskierten. Darüber hinaus haben die meisten dieser „großen Namen” ein gemeinsames politisches Ziel: die Bewegung mit dem Kapitalismus zu versöhnen und über sie als Lobby für ein paar Vorzeigereformen einzusetzen.
Unter diesen Umständen müssen revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten dafür eintreten, dass junge Leute den Kampf anführen und die Richtung geben können. Dafür müssen die jungen AktivistInnen ihre eigenen Organisationen herausbilden.
Natürlich gibt es bereits viele Jugendorganisationen von Parteien, Gewerkschaften, NGOs und sogar Glaubensgemeinschaften, deren Mitglieder die Welt wirklich verändern wollen. Wir fangen nicht bei Null an. Deshalb halten wir einen Aufruf für eine neue revolutionäre Massenjugendinternationale für notwendig, die eine politische Struktur und eine Richtung für jene Avantgarde der Jugend angibt, die ihre Fähigkeit zur militanten Aktion bereits unter Beweis gestellt hat. Zum Aufbau einer solchen Jugendinternationale wird es notwendig sein, Einheitsfronten mit Gruppen zu bilden, die der Jugend ebenfalls eine organisatorische und politische Stimme verleihen wollen, vorerst aber noch nicht für das historische revolutionäre Programm gewonnen werden konnten. Die sofortige Zustimmung zum Programm zu einer Voraussetzung für die Bildung einer Internationale zu machen, wäre absurd und würde den oben skizzierten marxistischen Prinzipien der Jugendorganisation widersprechen.
Umgekehrt aber, würde die Frage der Schaffung einer Jugendinternationale in der programmatischen Diskussion und damit der Diskussion über die politische Strategie keine Rolle spielen oder gar unterdrückt, oder nur auf Einheitsfronten rund um bestimmte Kampagneninitiativen beschränkt, wäre dies ebenfalls eine Sackgasse für den Kampf gegen den Kapitalismus. Kommunistinnen und Kommunisten müssen daher im Zuge der Herausbildung einer neuen revolutionären Jugendinternationale drei zentrale Anliegen einbringen.
Erstens müssen wir im Aufbau der Organisation die Diskussion und Entscheidung über ein Programm ins Zentrum rücken, wobei KommunistInnen dabei für eine revolutionäre Strategie eintreten. Dabei soll nicht die Struktur der neuen Organisation in einem Konflikt zwischen verschiedenen Tendenzen paralysiert werden, sondern vielmehr die Diskussion über Programm, Strategie und Aktion zentralen Stellenwert erhalten. Zweitens ist eine demokratische Entscheidungsfindung über die unmittelbaren, brennenden Aufgaben wesentlich. Drittens müssen Entscheidungen, wenn sie einmal diskutiert und von der Mehrheit verabschiedet wurden, gemeinsam umgesetzt werden. Kurz gesagt, treten wir für ein System des demokratischen Zentralismus ein, völlige Freiheit in der Diskussion, aber loyale Einheit in der Umsetzung. So gesehen ist es kein Ruf nach einer matten „Einheit” auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern ein Aufruf für eine neue internationale politische Organisation der radikalen Jugend.
Heute und hier können bedeutende Schritte in Richtung Aufbau dieser neuen Organisation gesetzt werden. Kommunistinnen und Kommunisten müssen nach Bündnissen mit Jugendorganisationen zu jenen Anliegen suchen, in denen politische Übereinstimmung besteht. Dies können etwa gemeinsame Aktionstage gegen den Neoliberalismus oder gemeinsame Seminare und Workshops zu Themen sein, die Jugendliche betreffen. Durch diese gemeinsamen Initiativen können KommunistInnen Vertrauen bei anderen zentralen Kräften aufbauen, die für eine neue Internationale gewonnen werden können, und gleichzeitig revolutionäre Politik einem breiteren Publikum nahe bringen.
So verkommt auch der Aufruf zu einer neuen Jugendinternationale nicht zu einer passiven Einladung an andere politische Tendenzen, sondern fordert gerade die großen zentristischen und reformistischen Gebilde innerhalb der sozialen Bewegungen heraus. Einfach ausgedrückt, wir müssen die Massen dieser Organisationen für unser revolutionäres Programm gewinnen und ihnen seine Überlegenheit im Kampf gegen den Kapitalismus und für dessen Sturz verdeutlichen. In diesem Sinne ist die Losung einer unabhängigen revolutionären Jugendinternationale, die alle jungen Leute in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus vereint, in gleicher Weise objektiv revolutionär, wie es die Losung einer unabhängigen Jugendorganisation im Jahre 1920 war. Sie eröffnet einen Weg, über den junge Leute massenweise für das historische Programm der Arbeiterklasse gewonnen und von den Irre-Führern der Bewegungen weggebracht werden können.
Eine neue Jugendinternationale könnte die notwendigen Massenaktionen organisieren, um den Kampf gegen den Kapitalismus auf eine höhere Stufe zu heben und ihm eine strategische, politische Orientierung auf eine andere, eine kommunistische Welt verleihen. Sie könnte das rechte, akademische Milieu links liegen lassen und ihm die Fähigkeit zur Irreführung nehmen. Indem sie massenweise junge Leute im politischen Kampf beflügelt, könnte sie die Führung für die gesamten Bewegung stellen.
So kann die Herausbildung einer revolutionären Jugendinternationale tatsächlich zur Entwicklung neuer revolutionärer Parteien führen. Durch die Gewinnung von erst Hunderten, dann Tausenden und ihre Orientierung auf eine neue internationale politische Organisation junger Leute im Kampf gegen den Kapitalismus können die revolutionären Jugendorganisationen Kongresse organisieren und die Zusammenarbeit mit anderen Kräften der Arbeiterklasse suchen, die das gleiche Ziel haben: die Gründung neuer revolutionärer Parteien und, schlussendlich, einer Fünften Internationale.
Dieses Modell verhilft uns nicht nur zu einem prinzipienfesten, dynamischen und historisch fundierten Verständnis des Verhältnisses zwischen Jugendorganisation und revolutionärer Partei: Es eröffnet auch die Perspektive zur Schaffung neuer Kampforganisationen und der neuen Weltpartei der sozialen Revolution, die wir heute so dringend brauchen, und einen Weg, den wir in der kommenden Periode realistischer Weise auch beschreiten können.
Notizen…
1. W.I. Lenin, Die Krise des Menschewismus, Werke, Band 11, S. 352
2. W.I. Lenin, “Jugend-Internationale” (Notiz), Werke, Band 23, S. 164 [siehe diese Broschüre]
3. Resolution über die Kommunistische Internationale und die Kommunistische Jugendbewegung, angenommen vom 3. Weltkongress der KI, 12. Juli 1921, Die Kommunistische Internationale: Thesen, Leitsätze, Resolutionen, Band II, interlit, S. 180 [siehe diese Broschüre]
4. Third International, Theses, Resolutions and Manifestos for the First Four Congresses, London, 1983 [siehe diese Broschüre]
5. Resolution über die Kommunistische Internationale…; alle weitere Zitate in diesem Abschnitt aus diesem Text
6. Toward a revolutionary youth organisation, Trotzki Writings 1938-39, S. 121
Quelle…
Erstmals veröffentlicht: Revolutionärer Marxismus Nr. 35, Berlin 2006.
Abgeschrieben: http://www.arbeitermacht.de/rm/rm35/
jugend.htm