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Die “Sonderperiode”

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| Kategorien: Cuba, Statements
2010-11-10


Mitte der 1980er Jahre führte die kubanische Führung eine Kampagne der rectificación und Dezentralisierung durch. Gegen den Zeitgeist der Perestroika-Kampagne von Michael Gorbatschow gerichtet, hat dies möglicherweise die kubanische Wirtschaft vor dem kompletten Zerfall bewahrt, als der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und damit auch ein großer Teil des kubanischen Außenhandels zusammenbrach[20]. Die Antwort darauf war die “Sonderperiode zu Friedenszeiten”, die am 26. Juli 1990 anfing. Bis 1993 war Kubas BIP um 30% gesunken – Ölimporte sogar um 70%[21].

Eine Verfassungsreform im Jahr 1992 erlaubte ausländische Investitionen auf der Insel, unter bestimmten Bedingungen. Diese joint ventures (empresas mixtas) werden vom kubanischen Staat und multinationalen Konzernen betrieben. Das erste solche Unternehmen wurde von einem Tourismuskonzern aus der ehemaligen Kolonialmacht Spanien aufgemacht – bis zum Jahr 2005 hatte Spanien die meisten joint ventures, nämlich 100[22].

Im Jahr 1993 wurden einige staatliche Farmen in Bauern/Bäuerinnengenossenschaften verwandelt und Kleinbetriebe wurden legalisiert. Bis zum Jahr 2001 gab es 150.000 Kleinbetriebe auf der Insel, die mit vielen Einschränkungen funktionieren: zum Beispiel darf ein paladar, ein kleines, privates Restaurant, nur 12 KundInnen gleichzeitig bedienen[23]. Dazu gibt es Schwarzmarktbetriebe aller Art, die Essen servieren, Souvenirs verkaufen, Videos verleihen oder tausend andere Arbeiten erledigen (Das schließt auch das verbreitete Phänomen Prostitution ein, das bis zum Jahr 1990 praktisch verschwunden war, aber mit dem Beginn der “Sonderperiode” wieder erschien[24]). Beide Sektoren zusammen bilden einen bedeutenden, kleinbürgerlichen Teil der Wirtschaft.

Die Essensverteilung ist immer mehr privatisiert worden. Bis zum Jahr 1995 wurde sie fast ausschließlich vom Staat gewährleistet[25] – doch im Jahr 2000 wurde schon die Hälfte des Essens durch den privaten Sektor verteilt[26]. Jetzt reicht die staatliche Lebensmittelration für höchstens zwei Wochen im Monat – Diebstahl und Handel auf dem Schwarzmarkt sind damit eine Notwendigkeit für die Bevölkerung, um ihre elementaren Bedürfnisse zu befriedigen.

Ebenfalls im Jahr 1993 wurde der US-Dollar legalisiert. Um so viele Devisen wie möglich aufzusaugen, eröffnete der Staat Läden, die ausländische Produkte gegen Dollars verkauften. KubanerInnen konnten auf unterschiedlichem Wege an Dollars herankommen: durch Geldsendungen von Verwandten im Ausland, durch geschäftliche Beziehungen mit TouristInnen und auch durch Korruption. Ab 1994 zahlte der Staat Boni in Dollar an Staatsangestellte, neben dem normalen Lohn in Pesos. Bis zum Jahr 1999 profitierten etwa ein Drittel der ArbeiterInnen auf der Insel von diesen Boni[27]. Natürlich ist das weit entfernt von Che Guevaras Ideen über “moralische Anreize”!

Interessanterweise ist der Zucker nicht länger der König der kubanischen Wirtschaft. Im Jahr 2006 empfing Kuba zum ersten Mal zwei Millionen ausländische TouristInnen – dieser Sektor beschäftigt 80.000 ArbeiterInnen direkt und schätzungsweise weitere 200.000 indirekt[28]. Im Jahr 2000 brachte der Tourismus rund 1,9 Milliarden Dollar ein, während Exporte (einschließlich Zucker und Nickel) nur 1,5 Milliarden einbrachten[29]. Kubas Zuckerernte sinkt jetzt auf historische Tiefen, niedriger als irgendwann in den letzten hundert Jahren.

Fußnoten:

20. William H. LeoGrande: “The ‘Single Party of the Cuban Nation’ Faces the Future”. In: Max Azicri/Elsie Deal [editors]: Cuban Socialism in a New Century. Adversity, Survival and Renewal. Gainsville 2004. P. 186.
21. Philip Brenner [et al.] [editors]: A Contemporary Cuba Reader. Reinventing the Revolution. Lanham 2007. P. 1.
22. Marguerite Rose Jiménez: “The Political Economy of Leisure”. In: Brenner: Cuba Reader. P. 148.
23. Juliana Barbassa: “The New Cuban Capitalist”. In: Lydia Chávez [editor.]: Capitalism, God and a Good Cigar. Cuba Enters the Twenty-First Century. Durham/London 2005. P. 19-21.
24. Jiménez: Leisure. P. 150.
25. Minor Sinclair/Martha Thompson: “Agricultural Crisis and Transformation”. In: Brenner: Cuba Reader. P. 163.
26. José Luis Rodríguez García: “The Road to Economic Recovery”. In: Azicri: Socialism. P. 156.
27. Ebd. P. 155.
28. Jiménez: “Leisure”. P. 146-147.
29. Andrew Zimbalist: “Measuring Economic Performance. Strong and Weak Prospects.” In: Azicri: Socialism. P. 172.



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