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2011-07-27


Eindrücke vom Wahlkampf der “Frente de Izquierda y de los Trabajadores” (FIT, “Front der Linken und der ArbeiterInnen”) und der Beteiligung der PTS dabei

Am 12. Juni gewann Alejandro López, Arbeiter bei Zanón und Leiter der Gewerkschaft der KeramikarbeiterInnen in Neuquén (SOECN), bei den ersten Provinzwahlen, bei der sich die FIT als Wahlfront präsentierte einen Sitz im Landtag von Neuquén. Dieser Sieg ist ein wichtiger Schritt für den Wahlkampf der FIT und kann als ein erstes Beispiel für einen revolutionären Wahlkampf dienen, als auch dafür, was man von einem marxistischen Standpunkt aus mit einem solchen Sitz anfangen kann. In diesem Sinne würde ich gerne einige Eindrücke von der Arbeit der FIT im allgemeinen und insbesondere von der Arbeit der PTS in dieser Front geben .

1. Hintergrund: Warum eine Wahlfront?

a) Warum sollten revolutionäre MarxistInnen überhaupt an Wahlen teilnehmen?

Der Zweite Weltkongress der Kommunistischen Internationale, der 1920 stattfand, legte die Grundlage für eine marxistische Einschätzung des Parlamentarismus im Gegensatz zur parlamentarischen Arbeit der sozialdemokratischen Parteien, die durch die Trennung der parlamentarischen Arbeit vom Kampf der Massen im Wesentlichen einer Strategie von parlamentarischen Reformen zur Transformation des Kapitalismus in den Sozialismus folgten, und dadurch zu Feinden der proletarischen Revolution degenerierten.

Der Kongress unterstrich nachhaltig, dass das bürgerlichen Parlament, das in der ersten Periode der kapitalistischen Entwicklung eine gewisse progressive Rolle spielte, in der Epoche des Imperialismus alle fortschrittlichen Merkmale verloren und sich in ein Instrument der Täuschung und Gewalt verwandelt hat, und daher keine Antwort auf die Bedürfnisse der Massen geben kann. In diesem Sinne ist es die Aufgabe von MarxistInnen weltweit, den Parlamentarismus zu zerschlagen. Dies kann jedoch nur durch den Kampf um die Macht durch das Proletariat geschehen, “der charakterisiert wird durch die Intensivierung von kleinen und Teilkämpfen zum allgemeinen Kampf für den Sturz der kapitalistischen Ordnung überhaupt. […] In diesem Massenkampf, der sich zum Bürgerkrieg entwickelt, muss die führende Partei des Proletariats in der Regel alle legalen Stellungen festigen, indem sie sie zu Hilfsstützpunkten ihrer revolutionären Tätigkeit macht und diese Stellungen dem Plan des Hauptfeldzuges, der Kampagne des Massenkampfes, unterordnet.“ [Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus, aus: Protokoll der II. Kongresses der Kommunistischen Internationale, S.471] Unter bestimmten Umständen kann das bürgerliche Parlament von den RevolutionärInnen als solcher “Hilfsstützpunkt” verwendet werden, um von dort aus „den Massen zu helfen, die Staatsmaschine und das Parlament selbst durch die Aktion zu sprengen.“ [472] Die Aufgabe hier ist die revolutionäre Agitation aus dem Parlament, Demaskierung der Bourgeoisie vor den ArbeiterInnen, die noch Vertrauen in die bürgerlichen Institutionen haben.

Allerdings machte der Kongress immer wieder deutlich, dass die parlamentarische Arbeit  immer “ganz und gar den Zielen und Aufgaben des Massenkampfes außerhalb des Parlaments untergeordnet sein“[472] muss. „Da der Schwerpunkt im außerhalb des Parlaments geführten Kampf um die Staatsmacht liegt, so versteht es sich von selbst, daß die Frage der proletarischen Diktatur und des Massenkampfes dafür mit der besonderen Frage der Ausnutzung des Parlamentarismus nicht gleichzustellen ist. ” [474] Wenn KommunistInnen das Parlament für revolutionäre Agitation nutzen, bedeutet dies nicht, dass die parlamentarische Arbeit immer und unter allen Umständen nützlich ist. Wie alle anderen Taktiken, die RevolutionärInnen verwenden, um die Richtigkeit ihres Programms aufzuzeigen, ist auch der Parlamentarismus nur eine Taktik und muss als solche den konkreten Umständen des Klassenkampfes angepasst sein: 

„Andererseits folgt aus der prinzipiellen Anerkennung der parlamentarischen Tätigkeit durchaus nicht die absolute Anerkennung der Notwendigkeit konkreter Wahlen und konkreter Teilnahme an den Parlamentssitzungen unter allen Umständen. Das ist von einer ganzen Reihe spezifischer Bedingungen abhängig. Bei einer bestimmten Kombination dieser Bedingungen kann der Austritt aus dem Parlament notwendig sein. Das taten die Bolschewiki, als sie aus dem Vorparlament austraten, um es zu sprengen, ihm jede Kraft zu nehmen und es dem am Vorabend des Aufstand stehenden Petersburger Sowjet schroff gegenüberzustellen. Ein Gleiches taten sie in der Konstituierenden Versammlung am Tage der Auflösung, in dem sie den III. Kongress der Sowjets zum Mittelpunkt der politischen Geschehnisse erhoben. Je nach den Umständen kann Boykott der Wahlen und unmittelbare gewaltsame Beseitigung, wie des ganzen bürgerlichen Staatsapparats, so auch der bürgerlichen Parlamentsclique, oder aber Teilnahme an Wahlen, während das Parlament selbst boykottiert wird, usw. notwendig sein.“ [474]

Als eine Taktik muss die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen und Parlamenten immer in Hinblick darauf gesehen werden, wie sie der Strategie der Eroberung der Macht durch einen revolutionären Massenaufstand dienen kann. In diesem Sinne sind Wahlkämpfe Kampagnen nicht für die maximale Anzahl von Stimmen, sondern für die revolutionäre Mobilisierung der Massen mit Streiks, Demonstrationen und im allgemeinen mit Methoden, die der politischen Aktivierung der Massen dienen. Eine Methode, dies zu erreichen, ist, zur Wahl von ArbeiterInnen aufzurufen anstelle von “erfahrenen PolitikerInnen”, um eine klare Klassenperspektive und eine Andeutung von ArbeiterInnendemokratie aufzuzeigen, im Gegensatz zu einer Demokratie der Eliten. Außerdem verlangte der Kongress die Kontrolle der Arbeit der Parlamentsfraktion durch das Zentralkomitees der Partei, um die Korruption der gewählten GenossInnen zu verhindern. Die gewählten GenossInnen sind an die Beschlüsse der Partei gebunden und müssen ihre parlamentarische Arbeit der allgemeineneren Aufgabe des Aufbaus der Partei und der Mobilisierung der Massen, unterordnen, oder in anderen Worten: der revolutionären Arbeit außerhalb des Parlaments.

Die grundlegenden Schlussfolgerungen, die durch den Zweiten Kongress der Komintern gezogen wurden, sind heute noch gültig, auch wenn sie mehr als 90 Jahre alt sind. Denn wir leben immer noch in der Epoche des Imperialismus und der Dekadenz des Kapitalismus. Während in diesem Sinn die Frage des Parlamentarismus – wie jede andere taktische und programmatische Frage- den heutigen Umständen angepasst werden muss, können insbesondere die Schlussfolgerungen, die die Nutzung von Wahlkämpfen zur Politisierung der Massen betreffen auf die heutige Situation angewendet werden und sind tatsächlich die Grundlage der Beteiligung der PTS an der ArbeiterInnen- und Linksfront.

b) Wahl-Fronten vs langfristige Projekte

Ein weiteres wichtiges Thema für die Bildung der FIT ist die Frage der Wahl-Fronten als temporäre Einheitsfront, die auf Teilabkommen in einer konkreten Situation basieren, im Gegensatz zu langfristigen Projekten, die auf tieferen Vereinbarungen in Bezug auf Programm, Strategie und Praxis beruhen. Die FIT ist keineswegs ein Projekt, das im Hinblick auf eine langfristige Ausrichtung der PTS auf die  PO konzipiert wurde, sondern hinsichtlich der konkreten Notwendigkeit einer ArbeiterInneneinheitsfront gegen bürgerliche Repression (siehe 1c). Insofern gelten alle Elemente der Einheitsfront auch in dieser Wahlkampagne, wie gemeinsame Aktionen im Hinblick auf die Massen und politisch-ideologische Kämpfe der Kräfte innerhalb der Front.  In diesem Sinne dient die Front auch der Hervorhebung der Unterschiede zwischen der PTS und der PO in Bezug auf die Strategie und den Aufbau einer revolutionären Partei. In der Tat spitzte sich nach dem Wahlsieg in Neuquén die Polemik zwischen der PTS und der PO ein wenig zu, da die PO ihren Weg des Parteiaufbaus (der teilweise auf der Ausweitung der Parteibürokratie in einige bürgerliche Institutionen basiert) durch die PTS bedroht sieht, die immer mehr an Boden gewinnt, besonders jetzt, da die Vertreter des wichtigsten PTS-Projekts der vergangenen 10 Jahre (Zanón) durch Tausende von ArbeiterInnen gewählt wurden.

c) Die Bildung der FIT: Die Einwände der PO gegenüber früheren Fronten und warum sie diesmal mitmachte

Für Leute, die etwas über argentinische Linke Bescheid wissen, kam es als kleine Überraschung, dass die PO, die es in der Vergangenheit stets abgelehnt hat, irgendeine Front mit der PTS auf nationaler Ebene zu bilden, zustimmte,eine gemeinsame Wahlfront mit der PTS zu bilden (die FIT enthält auch andere Kräfte, aber sie haben nicht viel politischen Einfluss in der Front). Die PO wird in der argentinischen Öffentlichkeit als der Bezugspunkt der Linken gesehen, wegen ihres Einflusses in der Bewegung der Arbeitslosen in der Krise von 2001. Sie ist die größte Partei  der radikalen Linken, und hat immer eine Position der absoluten Überlegenheit über jede andere Kraft der Linken, und vor allem gegenüber der PTS, eingenommen. Während die PTS in früheren Wahlen Fronten mit anderen trotzkistischen Organisationen gebildet hatte, stellte die PO immer ihre eigenen KandidatInnen auf. Nun hat sich dies geändert. Die Erklärung für dieses Verhalten ist im wesentlichen eine Wahlrechtsreform, die letztes Jahr vom argentinischen Parlament mit den Stimmen jeder einzelnen bürgerlichen und reformistischen Partei verabschiedet wurde, und die zwingend Vorwahlen vorschreibt wie in den Vereinigten Staaten. Dies bedeutet, dass eine Partei (oder ein Wahlbündnis), um KandidatInnen bei den Präsidentschaftswahlen aufzustellen zu können, Testwahlen abhalten muß, in denen mindestens 1,5% der Bevölkerung ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen müssen. Während die argentinische Linke in der Vergangenheit insgesamt etwa 4% der Stimmen bekam, können weder PO noch die PTS (oder die Wahl-Fronten, die die PTS vorher gemacht hat) sicher sein, diese Barriere jede für sich zu überwinden. Dieses Gesetz ist im Grunde ein Verbot der Linken und die FIT wurde als Verteidigungsmaßnahme gebildet. Gemeinsam ist es möglich, dass sie diese Barriere durchbrechen und dadurch einen wichtigen politischen Sieg gegen die Unterdrückungsversuche der Bourgeoisie erringen,. Die FIT ist auch im Hinblick auf die Ausdehnung des politischen Einflusses der Regierung Kirchner nach dem Tod von Néstor Kirchner im letzten Jahr, was eine Welle der Unterstützung für die “progressive” Politik der Regierung ausgelöst hat, wie z.B. staatlicher Sozialunterstützung für Kinder, defensiv Allerdings ist die Regierung Kirchner schnell nach rechts gegangen, verstärkte ihre Attacken gegen die ArbeiterInnenbewegung und ging mit der Polizei gegen Demonstrationen vor, wie sie es vor ein paar Jahren noch nicht gewagt hat.  Aus all diesen Gründen wurde eine temporäre “Vereinigung” der radikalen Linken notwendig, aber natürlich auf der Grundlage eines festen Programm.

2. Das Programm der FIT

Das Programm der FIT (verfügbar hier auf Englisch) ist das Ergebnis eines langen Kampfes mit der PO, die eigentlich kein klares marxistisches Programm für die Front wünschte, nachdem sie schon 14 „Notfallmaßnahmen“ gegen die Krise am Tag der öffentlichen Ankündigung der FIT präsentiert hatte. (Diese enthielten z.B. weder das Recht auf Abtreibung, welches in Argentinien noch nicht existiert, noch die Verurteilung der Wahlrechtsreform.)  Sie argumentierte, dass die 14 Punkte ausreichen würden, obwohl sie eindeutig ein “Notprogramm” waren und nicht die Gesamtheit der komplexen Wirklichkeit des Klassenkampfes heute in Argentinien und weltweit mit einschloss. Aber am Ende wurde ein Programm geschrieben und beschlossen, das die Struktur eines Übergangsprogramms besitzt, welches auf die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse auf der Grundlage der Klassenunabhängigkeit ausgerichtet ist.

Das Programm beginnt mit einer kurzen Analyse der Weltlage und der anwachsenden Kämpfe gegen die weltweite Krise und analysiert auf dieser Basis die aktuelle Situation in Argentinien, verurteilt die Wahlrechtsreform, denunziert die „halbherzigen Maßnahmen“ gegen die Krise und schlägt eine Kampagne vor „zur Mobilisierung von ArbeiterInnen und AktivistInnen und für einen unabhängigen politischen Pol mit einem klaren Programm, der sich von den kapitalistischen Parteien, auch denen von Mitte-Links, abgegrenzt, so dass die ArbeiterInnen ein entscheidender politischer Faktor werden können und die ausgebeuteten Schichten der Nation gegen Kapitalismus und Imperialismus führen können.Der Wahlkampf der FIT versucht die ArbeiterInnen auf den Kampf für ihre eigene Regierung vorzubereiten. ”

Zu den wichtigsten Punkten des Programms zählen die Forderungen für einen höheren Mindestlohn, gegen die Inflation, die Umverteilung der Arbeitszeit, gegen Prekarisierung, gegen die Zahlung der Auslandsschulden, für die entschädigungslose Enteignung der Banken, der GroßgrundbesitzerInnen und der Großindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle, gegen die Gewerkschaftsbürokratie, und für ein Abgeordnetengehalt in Höhe eines durchschnittlichen ArbeiterInnen-Lohns und die Möglichkeit der Abberufung von gewählten VertreterInnen, sowie mehrere Forderungen, die den Internationalismus ausdrücken  (Nein zur kapitalistischen Restauration in Kuba und Unterstützung für die arabische Revolution etc.) und die Forderung nach einer Regierung der ArbeiterInnen und Unterdrückten.

Das einzige, was das Programm nicht das tut, ist es, einen klaren Weg zur sozialistischen Revolution zu zeigen, in Bezug auf eine konkrete Strategie für den Aufbau einer revolutionären Partei. In der Tat wird nicht einmal die Notwendigkeit einer revolutionären Partei erwähnt. Die einzige Anspielung auf die Selbstorganisation der Massen und die Notwendigkeit einer revolutionären Partei (während es über ein revolutionäres Programm spricht) ist “die ArbeiterInnen für die Aufgabe des Kampfes für ihre eigene Regierung vorzubereiten” und für die “Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten “. Diese Diskrepanz zwischen einem Übergangsprogramm und der Nicht-Erwähnung einer revolutionären Partei  und in diesem Sinne das Nichtvorhandensein einer klaren revolutionären Strategie  kann nur durch die großen Unterschiede zwischen den Kräften der Front erklärt werden, vor allem zwischen PO und der PTS, was den Parteiaufbau und die Rolle der Selbstorganisation der Massen betrifft, die auch sehr deutlich zu sehen ist in der unterschiedlichen Teilnahme beider Kräfte an der Wahlkampagne.

Zusammenfassend: das Programm ist keineswegs perfekt, aber es legt eine gute Basis für eine vorübergehende Vereinigung von Kräften gegen eine konkrete Bedrohung (die Wahlreform). Es ist nicht zu 100% ein revolutionäres Programm, aber wie ich schon sagte, ist diese Front nicht langfristig, sondern eine vorübergehende Lösung, um ein konkretes Problem anzugehen, das auch die Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Front verdeutlichen kann und damit der PTS helfen kann,  ein klareres Profil gegen die PO zu erlangen, wenn es zu der Selbstorganisation der Massen und dem Aufbau einer revolutionären Partei kommt.

3. Wahlkampf: Unterschiede zwischen PO und PTS

Die strategischen Unterschiede zwischen den PO und die PTS sind deutlich sichtbar in der Art, wie jede Organisation die Wahlkampagne betreibt. Während für die PO die Kampagne ganz darauf basiert, die 1,5% Hürde zu nehmen (und möglichst viele Stimmen zu gewinnen), versucht die PTS ihre programmatische und theoretische Arbeit zu vertiefen. Hier zwei wichtige Beispiele:

a) Eine der größten Veranstaltungen, die die FIT bislang organisiert hat, war eine öffentliche Versammlung aller Jugendorganisationen der FIT, um linksradikale studentische AktivistInnen zu mobilisieren. Bei dieser Gelegenheit hielt der wichtigste Kandidat und Anführer der PO, Jorge Altamira, eine Rede über die Notwendigkeit, die Massen zu mobilisieren. Nicht mit einem Wort aber sprach er über die Notwendigkeit, diese Massen in einer revolutionären Partei zu organisieren (oder auch über die Notwendigkeit, dass die Massen sich selbst organisieren). Er nahm Bezug auf ein sehr unkonkretes Subjekt der “Massen”, die die Revolution machen werden.  Der Hauptkandidat und Anführer der PTS, Christian Castillo, hielt jedoch eine ganz andere Rede. Ich möchte einen Teil davon zitieren, um einen besseren Eindruck zu vermitteln:

“Krisen wie die gegenwärtige bieten große Chancen für die Entwicklung revolutionärer Organisationen, wenn wir konsequent sind in der Charakterisierung, dass die Krise, in der wir leben, immer mehr Türen zu vorrevolutionären Situationen und Kriegen verschiedener Art, also zur Fortsetzung der Politik mit gewaltsamen Mitteln, öffnen kann, gemäß der berühmten Formel von Clausewitz, die die großen marxistischen RevolutionärInnen als ihre eigene übernommen haben. Folglich muss die neue revolutionäre Generation, die hier anwesend ist, sich der Wichtigkeit bewusst sein, dass – abgesehen von der aktuellen Situation – die Reflexion über die Probleme des Aufstandes, einschließlich der militärischen Probleme, heute für jede revolutionäre Politik, die diesen Namen auch verdient, von zentraler Bedeutung ist.”

Castillo sprach auch über die Wiederaneignung einer Strategie des Aufstands der Massen, angeführt durch eine revolutionäre Partei, wie sie die Bolschewiki verwendet hatten und die in Jahrzehnten stalinistischer Degeneration und zentristischer Abweichungen verloren gegangen ist. In anderen Worten, statt den Wahlkampf auf rein “demokratische” Agitation gegen die Reform des Wahlsystems zu stützen, versucht die PTS, wichtige strategische Fragen unter Avantgarde-Sektoren zu verbreiten, um sie politisch und programmatisch auf kommende Aufgaben vorzubereiten. Nach der Veranstaltung reagierte die PO auf Castillos Rede im Sinne von “es war zu theoretisch, zu akademisch, zu schwer zu verstehen”. Zwar ist es wichtig, dass RevolutionärInnen eine Sprache sprechen, die die breite Masse zu verstehen können, aber sie dürfen nicht ihr Programm verwässern und es ist klar, dass die PO nicht über strategische Fragen sprechen will [im Wahlkampf]. Die PTS, auf der anderen Seite, verwendet diesen Wahlkampf auch, um ihr Verständnis der wichtigsten Probleme des weltweiten Klassenkampfes zu vertiefen.

b) In der Kampagne in Neuquén, war die wichtigste Forderung der PTS, die wichtigsten Arbeiteraktivisten von Zanon, die ein Symbol der ArbeiterInnen-Demokratie und eine Bastion der ArbeiterInnenklasse von Neuquén und ganz Argentinien sind, als Symbol des Klassenkampfes und der Klassen-Unabhängigkeit auf die obersten Listenplätze zu setzen. PO beanstandete dies zunächst, aber aufgrund des relativ hohen politischen Gewichts von Zanón in der gesamten Provinz, mussten sie schließlich nachgeben. Die anfängliche Haltung der PO zeigt deutlich, dass sie die Bedeutung der ArbeiterInnen-Demokratie unterschätzen. Sie wollen nicht sehen, was die SOECN, mit wichtiger PTS-Beteiligung, getan hat, zu helfen, die Idee der Klassenkämpfe und der Klassen-Unabhängigkeit und Selbst-Organisation in Argentinien und weltweit zu verbreiten. Dies liegt nicht nur daran, dass die PO Abneigungen gegen die PTS als ihrer unmittelbaren Konkurrentin hat, sondern darin drückt sich auch der Unterschied im Parteibildungsprojekts aus, das bei der PTS auf der Umgruppierung von Avantgarde-Sektoren der ArbeiterInnenklasse, die im Klassenkampf enstehen und ArbeiterInnendemokratie praktizieren, beruht. In diesem Sinne ist der Sieg in Neuquén eine direkte Bedrohung für die PO, weshalb sie sehr feindlich gegenüber der PTS in der Woche nach den Wahlen reagiert, was sich zeigte im Herunterreißen von PTS-Plakaten und der Denunzierung der offenen Nach-Wahl-Versammlung über die Frage, was mit dem gewonnenen Sitz zu tun ist, als einseitiger PTS Aktion, die nicht mit den anderen Kräften abgesprochen worden sei (selbst wenn es wahr wäre, stellt sich die Frage, warum die PO nicht ein solches Treffen auf der Grundlage von ArbeiterInnendemokratie will) .

Diese beiden Beispiele zeigen deutlich, dass die PTS und die PO ein ganz anderes Verständnis vom Zweck der FIT und von der Durchführung des Wahlkampfes haben. In abstrakten Begriffen können wir sagen, dass die größten Gefahren für MarxistInnen im Wahlkampf das Abgleiten zu bloßem Parlamentarismus, die Unterordnung der konkreten Fragen des Klassenkampfes unter bedeutungslose Debatten in den bürgerlichen Institutionen und die Unterschätzung strategisch wichtiger Fragen zugunsten eines komfortablen Unterschlupfs im System sind, oder in anderen Worten, der Druck von der rechten Seite. Die Kampagne der PTS (die übrigens besser sein könnte – wie ein stärkerer Fokus auf die Rechte der Frauen und gegen sexuelle Unterdrückung) zeigt aus meiner Sicht, dass sie dieses Problem erkannt hat und versucht, es bewusst zu bekämpfen, durch die Fokussierung auf die wichtigen Lehren des revolutionären Parlamentarismus. Die PO, auf der anderen Seite, gibt nicht viel Wert auf diese Lektionen, unterschätzt die strategisch wichtigen Fragen und konzentriert sich nur auf die Gewinnung vieler Stimmen. Dies könnte die Frage aufwerfen, warum die PTS überhaupt eine Front mit der PO bilden wollte, aber wie ich schon sagte, ist es hauptsächlich eine defensive Maßnahme gegen steigende Angriffe der Bourgeoisie, und es kann auch dazu dienen, die Unterschiede zwischen der PTS und die PO zu betonen und dadurch neue Genossen gewinnen, die die Bedeutung der strategischen Diskussionen verstehen, weil diese Front ihnen viel mehr Publikum als eine Eigen-Kandidatur ermöglicht. Wie ein PTS Mitglied in einer internen Sitzung sagte, haben sich die Unterschiede zwischen der PTS und der PO noch nie so klar gezeigt wie jetzt, da sie in einer gemeinsamen Front sind.

4. Die Abgeordneten in Neuquén: ein Schritt nach vorne um das revolutionäre Programm zu den Massen zu bringen

Der erste wirkliche Test für die FIT waren die Provinzwahlen in Neuquén. Die wichtigsten Kandidaten für die FIT waren Alejandro López (Parteilos) und Raúl Godoy (PTS) vom SOECN für das Provinzparlament und Patricia Jure (PO) für den Gouverneur. Wie ich schon sagte, es gab ein paar große Meinungsverschiedenheiten zwischen der PO und der PTS über die Bedeutung von Zanón im Wahlkampf. Aber am Ende konnten López und Godoy sich oben auf der Liste präsentieren und das Konzept des ArbeiterInnen-Demokratie vor einem breiten Publikum bei bürgerlichen Wahlen vorstellen. Aber die Kampagne ist damit noch nicht zu Ende. Die Kräfte der Front haben beschlossen, die gewonnenen Parlamentssitze zwischen den verschiedenen Kräften zu rotieren, so dass sie im kleinen Maßstab das Rotationsprinzip als wichtigen Bestandteil der ArbeiterInnendemokratie aufzeigen können, auch wenn dies im begrenzten Rahmen des bürgerlichen Parlaments geschieht, was zum Beispiel keine Abberufung der Delegierten erlaubt. Auch behalten die VertreterInnen der FIT nur das Äquivalent des Gehalts eines/r normaleN ArbeiterIn, alles was darüber hinaus geht wird in einen Streikfond eingezahlt, um den ArbeiterInnen bei ihren Mobilisierungen im ganzen Land zu helfen. Und schließlich riefen López und Godoy in der Nacht der Wahl zu einer offenen Sitzung zur Debatte, was die FIT mit ihrem Sitz im Parlament machen soll – eine Maßnahme, die die anderen Kräfte der Front nicht unterstützten. Aber dieser Vorschlag ist auch ein sehr gutes Zeichen dafür, wie ArbeiterInnen-Demokratie funktionieren könnte – denn die politische Meinung der Massen ist somit nicht nur alle vier Jahre wichtig, sondern kann die Politik der FIT im Parlament konkret beeinflussen. Wie ich schon sagte, kann das bürgerliche Parlament nur eine unvollständige Umsetzung der Prinzipien der ArbeiterInnendemokratie ermöglichen, aber in dem Maße, wie sie es tut, will die PTS in der FIT diese Möglichkeiten ausnutzen, um den Parlamentssitz für die Unterstützung der Kämpfe der Massen einzusetzen und ihnen eine Alternative zur undemokratischen “Demokratie” der Bourgeoisie aufzeigen.

von Stefan Schneider, RIO, Buenos Aires, Juni 2011



4 Responses to “Die Wahlkampagne der FIT in Argentinien”

  1. systemcrash Says:

    ohne das anliegen der linksfront, das reaktionäre wahlgesetz zu bekämpfen, in frage zu stellen, bleibe ich bei meiner meinung, dass ein gemeinsamer wahlblock von gruppen mit unterschiedlichen programmen keine aktionseinheit ist, sondern ein propagandablock. ein propagandablock führt dazu, den unterschied von revolutionären und opportunistischen kräften zu verwischen. bei wahlen steht ausschliesslich das PROGRAMM zur abstimmung. jede verwässerung dessen ist daher vom leninistischen standpunkt aus abzulehnen. eine kampagne gegen reaktionäre wahlgesetze ist legitim, eine vermischung unterschiedlicher politischer kräfte nicht. oder wie soll ein arbeiter auf dem stimmzettel die linksfront ankreuzen, der z b die PTS gut findet, die PO aber nicht? er KANN ES NICHT. er muss entweder beides schlucken oder es gleich sein lassen. genau das ist NICHT der sinn der einheitsfront-taktik!

  2. B.I.Bronsteyn Says:

    @systemcrash
    Sorry, Systemcrash, aber was du schreibst ist klassischer “linker Radikalismus”, und er wird nicht besser dadurch, dass du das pseudotrotzkistische Wort “Propagandablock” da anführst, welches historisch im Zusammenhang mit dem Gothaer Parteitag enstand (eine FUSION von Lassalleanern und Eisenachern damals, zu Recht von M&E kritisiert).
    “Bei Wahlen steht ausschließlich das Programm zur Abstimmung”
    In welcher Welt lebst du, Genosse, ganz ernst gefragt? In einem Paralleluniversum?
    Bei Wahlen in Deutschland stehen mittlerweile sogar nur noch Gesichter zur Wahl und Illusionen, und immer mehr Wähler bleiben zu Hause, weil sie wissen, dass es da nur Schattierungen gibt.
    Parteiprogramme werden von der erdrückenden Mehrheit der Wähler (und damit auch von der Mehrheit des Proletariats) nie gelesen.
    Lenin würde dir seinen “Linken Radikalismus” um die Ohren hauen, wenn er da wäre, bis du ausser dem Titel auch den Inhalt gelesen und vor allem verstanden hättest. Die Schrift ist nämlich ein Lehrbuch für revolutionären Pragmatismus, der in jeder Situation unbedingt entwickelt werden muss.
    Sorry, ist lieb gemeint von mir, Genosse.
    Wovon reden wir denn? Von einer Wahlfront zwischen KPD und SPD im Jahr 1929, wo beide zu 80 % die Arbeiterklasse repräsentierten?
    Oder von Argentinien 2011, wo klassenkämpferische und revolutionäre Positionen überhaupt ihr Recht erkämpfen müssen, im Rahmen bürgerlicher Wahlen gehört zu werden?
    Und was du am Schluss über den Sinn von Einheitsfront schreibst, Genosse, lässt mich ehrlich an deinem Verstand zweifeln.
    Die hast du wirklich überhaupt nicht verstanden. Aber leider geht es vielen subjektiv ehrlichen Revolutionären so.
    Hallo aufwachen!
    Was meinst du, warum Trotzki die KPD 1929 beschwor, der SPD eine Einheitsfront gegen die NSDAP aufzuzwingen? Warum gab es 1919-1920 sogar Listenverbindungen zwischen KPD und USPD?
    Weil es jeweils darum ging, ganz bestimmte Kampfziele zu erreichen. Dass der Sinn einer Einheitsfront darin bestehen soll als “ich” zwischen irgendwelchen Varianten zu wählen, Mensch denk doch mal nach, was du da schreibst, bitte.
    Nein, ich gehöre nicht zur RIO, aber ich lese hier mal öfter und finde im übrigen die Wahltaktik der PTS sehr sehr gut, ein wirklicher Hoffnungsschimmer in diesem Land mit seinen bestimmt 50-100 trotzkistischen Organisationen, von denen viele aus ähnlichen Narren (sorry) bestehen wie du.

  3. systemcrash Says:

    dann lieber narr als opportunist 😉

    nur weil die leute keine parteiprogramme mehr lesen — wie du schreibst — heisst das noch lange nicht, dass kommunisten auf das revolutionäre programm verzichten dürfen. und bei wahlen stehen PROGRAMME zur abstimmung.
    aktionseinheiten sind konkrete aktionen zur verteidigung gemeinsamer interessen. eine wahlfront ist die vermichung unterschiedlicher programme und damit ein propagandablock…

    ich bleibe da lieber in meinem paralleluniversum, herr bronsteyn 😉

  4. B.I.Bronsteyn Says:

    Ein revolutionäres Programm ist eine Anleitung zum Handeln, nichts anderes. Dass ich behauptet hätte, Kommunisten bräuchten kein revolutionäres Programm, ist rein deine Fantasie.
    Ich komme mehr und mehr zu dem Eindruck, dass du ein Wichtigtuer bist, der sich “revolutionärer”, “orthodoxer” Phraseologie bedient. Aus meiner Sicht bist du kein Revolutionär, denn was du betreibst, ist die Schriften der Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus als Koran zu behandeln, wo du dir für deine absurden Konstrukte jeweils die passende Sure raussuchst. Das geht auch dann, wenn man die Texte, aus denen man sie rausklaubt, gar nicht wirklich versteht.
    Meinetwegen bleibe in deinem Paralleluniversum, da richtest du wenigstens keinen Schaden an.
    Was du übrigens zur russischen Revolution geschrieben hast, ist düftigstes Niveau, bewegt sich auf der platten Ebene der Cliff-Anhänger, und zeigt, dass du rein gar nichts verstehst. Jede Gruppe, die historisch irgendwann über andere Menschen politisch geherrscht hat, wäre demnach eine “eigene Klasse”.

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