Der letzte Kongress der PCC war im Jahr 1997. Der sechste Kongress, der ursprünglich für 2008 geplant war, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist ein klares Zeichen, dass es Risse innerhalb der Bürokratie gibt, die die oberste Führung flicken will, bevor sie sich auf einem Kongress zeigen.
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten für die Entwicklung Kubas in den kommenden Jahren:
- 1. Ein kompletter Zusammenbruch, wie ihn der US-Imperialismus bevorzugt. Obwohl Obama mit dem Versprechen in den Wahlkampf zog, in einen Dialog mit der kubanischen Regierung zu treten, zog er sich später auf die alte US-Position der bedingungslosen Unterstützung für die kubanische Exilbourgeoisie zurück. Dennoch muss festgestellt werden, dass die traditionelle Strategie Washingtons innerhalb der herrschenden Klasse der USA hinterfragt wird: einige US-Parlamentsabgeordnete unterstützen Abkommen mit der Castro-Regierung. Hinter ihnen stehen KapitalistInnen, die sofort einen Zugang zu den kubanischen Märkten wollen, statt dogmatisch auf einen politischen Umbruch auf der Insel zu warten. (Die US-Handelskammer schätzt, dass die US-Wirtschaft jährlich 1,2 Milliarden US-Dollar wegen der Blockade verliert[49].) Die Bourgeoisien Lateinamerikas sind allgemein gegen eine US-amerikanische Übernahme der Insel, weil dies den Einfluss der USA im gesamten Kontinent massiv stärken würde. Deswegen unterstützen die meisten lateinamerikanischen Regierungen die kubanische Regierung sowohl politisch (durch die Einbindung Kubas in internationale Abkommen) wie wirtschaftlich (durch Handelsabkommen, wie vor kurzem zwischen Kuba und Brasilien). Doch ist es durchaus möglich, dass die wachsende Kleinbourgeoisie auf Kuba dafür gewonnen werden könnte, das gegenwärtige Regime hinwegzufegen – genau darauf zielen die Propagandakampagnen der US-Geheimdienste.
2. Eine kontrollierte Wiedereinführung des Kapitalismus, wie in China oder Vietnam geschehen. In diesen Ländern bleiben die roten Fahnen und das Einparteiensystem intakt, doch ein Sektor der herrschenden Bürokratie verwandelte sich in KapitalistInnen und ein anderer Sektor in korrupte FunktionärInnen eines bürgerlichen Staates – ein großer Teil der kubanischen Bürokratie unterstützt diese Perspektive – die Offiziere der Revolutionären Streitkräfte sollten als wichtigste soziale Basis dieser Form der kapitalistischen Restauration gesehen werden. Die neue kubanische Kleinbourgeoisie könnte auch eine Basis für diese Variante sein. Doch die Nähe des US-Imperialismus würde einen solchen Prozess unheimlich schwer zu kontrollieren machen. Deswegen gab es bisher nur zaghafte Schritte in diese Richtung seitens der kubanischen Führung. Paradoxerweise ist es wahrscheinlich gerade die diplomatische Unnachgiebigkeit der USA, die prokapitalistische Reformen durch die Bürokratie verhindert hat. Nichtsdestotrotz zeigen die Beispiele Chinas und Vietnams, dass diese Art der Restauration durchaus möglich ist. Die andauernde Feindseligkeit des US-Imperialismus bringt die Bürokratie dazu, nach Abkommen mit den KapitalistInnenklassen Lateinamerikas (deren Ressourcen allerdings trotz Jahren des Wirtschaftswachstums noch extrem begrenzt sind) oder vorzugsweise mit europäischen imperialistischen Mächten zu streben. Doch auch ohne solche Abkommen sind konkrete Schritte hin zur Restauration im Gang, und da kapitalistische Produktionsverhältnisse sich quasi “automatisch” reproduzieren, werden diese Reformen früher oder später den Umschlagpunkt erreichen.
3. Eine politische Revolution der ArbeiterInnen, wie Trotzki sie für die Sowjetunion vorschlug und die in Ansätzen in Ungarn im Jahr 1956 beobachtet werden konnte. Die kubanische ArbeiterInnenklasse hat seit der Revolution keine unabhängige politische Rolle gespielt, da ihr ein Rahmen fehlt, um sich auszudrücken. Das macht diese dritte Möglichkeit zur Schwierigsten in der Umsetzung. Doch wenn die Lebensstandards der ArbeiterInnen angegriffen werden und die Gefahr einer US-Kolonisierung sie erkennen lässt, dass sie in einem zweiten Haiti (oder zumindest einer zweiten Dominikanischen Republik) leben könnten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie für die Verteidigung der Errungenschaften der Revolution kämpfen, in dem sie die Unternehmen übernehmen, ArbeiterInnenräte bilden und ihre Kontrolle über die wirtschaftlichen Institutionen etablieren und damit die wirtschaftliche Planung der Massendemokratie der ArbeiterInnenklasse unterwerfen. Obwohl ein Teil der Bürokratie sicherlich für diesen Kampf gewonnen werden könnte, zeigt die gesamte Erfahrung der revolutionären Krisen in stalinistischen Staaten, dass es hoffnungslos ist, von der Bürokratie zu erwarten, dass sie sich selbst in eine revolutionäre Regierung verwandelt. Eine Revolution auf Kuba würde bedeuten, zum zweiten Mal seit 1959 das ausländische Kapital auf der Insel zu enteignen – aber da es keine einheimische KapitalistInnenklasse auf Kuba gibt, wäre dies in erster Linie eine politische und keine soziale Revolution. Die Aufgabe, die einheimische Bourgeoisie zu enteignen, wurde bereits in der Zeit bis 1961 erledigt. Um eine politische Revolution umzusetzen, wäre eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnen, die auf einem marxistischen Programm basiert, nötig – und momentan müsste eine solche Partei illegal aufgebaut werden.Sie müsste versuchen, in die Kommunistische Partei Kubas zu intervenieren, da diese aktuell der wichtigste Ort auf der Insel ist, an dem überhaupt politische Diskussionen stattfinden. Doch wie der Ausschluss von Esteban Morales aus der PCC klar macht, müsste eine Intervention für ein revolutionäres Programm auch konspirativ vor sich gehen.
Ein Programm für die ArbeiterInnenrevolution müsste durch MarxistInnen auf der Insel erarbeitet werden, auf der Grundlage einer konkreten Analyse der sich verändernden Umstände. Doch es müsste sicherlich die folgenden Punkte beinhalten:
- Für die Verteidigung der Errungenschaften der Revolution, sowohl gegen den Imperialismus wie gegen die Bürokratie!
- Nieder mit der Bürokratie! Für ArbeiterInnendemokratie mit ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnenräten, die das Land verwalten!
- Für Organisationsfreiheit, einschließlich der Freiheit für alle politischen Parteien, die die Errungenschaften der Revolution verteidigen!
- Nieder mit den Privilegien und der sozialen Ungleichheit! Keine Privilegien für FunktionärInnen! Für die Enteignung der “nouvelle riche”!
- Für eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei, basierend auf der Tradition der bolschewistischen Partei, die die Oktoberrevolution führte, und der Vierten Internationale, die diesen Kampf fortsetzte!
Auf der Grundlage einer politischen Revolution würde sich Kuba von einem lediglich moralischen Beispiel in eine aktive politische Kraft für den Kampf gegen den Kapitalismus in Lateinamerika verwandeln. Bei jedem Massenaufstand – und im letzten Jahrzehnt gab es nicht wenige davon! – würde eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung den Weg zum Sozialismus aufzeigen und Parteien mit einem marxistischen Programm unterstützen. Anstatt isolierte Guerillabewegungen und “fortschrittliche” bürgerliche Regierungen zu unterstützen, würde eine revolutionäre Außenpolitik sicherstellen, dass der ArbeiterInnenstaat auf Kuba nicht lange isoliert bleiben würde. Eine sozialistische Revolution quer durch Lateinamerika ist die einzige reale Möglichkeit, Kubas Wirtschaftsprobleme zu lösen. Eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung könnte die Wirtschaft zwar viel effizienter verwalten als die Bürokratie, doch es gibt keinen Ausweg aus Armut und Rückständigkeit auf einer kleinen Insel. Es gibt keinen “Sozialismus in einem Land” und schon gar nicht auf einer Insel!
Bei der Analyse Kubas heute sind zwei grundsätzliche Fehler möglich. Einer ist, Kuba als ein im Wesentlichen sozialistisches Land mit lediglich einigen kleinen Defiziten im Bezug auf die Demokratie zu sehen[51]. Diese Position ignoriert die restaurationistischen Tendenzen innerhalb des Regimes und die ständige bürokratische Misswirtschaft. Solche “Solidarität mit Kuba” bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Unterstützung der Castro-Regierung einschließlich ihrer Privatisierungsprojekte. Der zweite Fehler ist, anzunehmen, dass Kuba schon immer ein kapitalistisches Land war oder vor kurzem eines geworden ist[52]. Diese Position ignoriert die Tatsache, dass es keine kubanische Bourgeoisie gibt, d.h. keine Klasse, die die Produktionsmittel besitzt, und kann die erstaunlichen sozialen Statistiken, die anfangs erwähnt wurden, nicht erklären. Eine korrekte Analyse muss von der Einschätzung der widersprüchlichen Entwicklung einer Gesellschaft ausgehen, die in der Mitte des Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus stecken geblieben ist, mit einer starken Tendenz, in die erste Gesellschaftsform zurückzufallen[53].
Fußnoten:
50. Margot Pepper: “The Costs of the Embargo”.
51. Neben stalinistischen Parteien, die Kuba als Vorbild sehen, gibt es auch viele trotzkistische Strömungen, die eine unkritische Haltung zum Castrismus haben, etwa das Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale (VS), die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) und die Sozialistische Arbeiterbewegung (MST) aus Argentinien.
52. Die Internationale Arbeiterliga (LIT-CI) von Nahuel Moreno behauptet, dass der Kapitalismus auf Kuba restauriert worden sei und eine “demokratische Revolution” gegen die “kapitalistische Diktatur” nötig wäre. Die Internationale Sozialistische Tendenz (IST) von Tony Cliff argumentierte schon immer, dass Kuba “Staatskapitalismus” war. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) von Gerry Healy hatte eine verwirrte Analyse, dass Kuba ein kapitalistischer Staat war, der im Sinne einer schwachen Bourgeoisie regierte. Heute sind sie auffällig leise im Bezug auf irgendeine Analyse von Kuba heute.
53. Wir möchten unsere grundsätzliche Übereinstimmung mit der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI) und ihrem programmatischen Dokument, das vor Kurzem erschien, zum Ausdruck bringen: “Cuba en la encrucijada” (“Kuba am Scheideweg”). Wir begannen mit der Arbeit an diesem Dokument bevor ihr Dokument fertiggestellt wurde.