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2009-05-14


In China breiten sich ArbeiterInnenproteste aus. Der Staat reagiert mit Repression. Ein Gespräch mit Qichang Huang, Arbeiter und Sozialist aus China. Er schreibt für die Website chinaworker.info.

Die in Europa zugänglichen Berichte über die Lage der Arbeiterklasse in der Volksrepublik (VR) China sind zum Teil recht dürftig. Hin und wieder liest man von Protesten und Streiks. Was wissen Sie darüber?
Nicht nur wegen der aktuellen Wirtschaftskrise gibt es dort Proteste von ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts häufen sich die »Massenereignisse« – wie die Behörden Streiks und Demonstrationen umschreiben. Im Jahr 2006 gab es davon über 90.000, letztes Jahr waren es schon über 120.000. Das sind also rund 300 Proteste pro Tag.

Was sind die Anlässe?
Landenteignung, Nichtauszahlung von Löhnen, Privatisierung staatlicher Unternehmen, Korruption oder Umweltzerstörung. Seit Oktober haben über 23 Millionen WanderarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz verloren. Hinzu kommt: In diesem Jahr müssen acht Millionen HochschulabsolventInnen einen Job finden. Deswegen gab es neben den Protesten der WanderarbeiterInnen, die kaum über Arbeitsschutz verfügen, auch Proteste von StudentInnen.

Wie reagiert die Volksrepublik darauf?
Das hängt von vielen Faktoren ab. Die meisten Arbeitskämpfe waren unorganisiert und von kurzer Dauer, doch werden sie radikaler, koordinierter und politisch bewußter geführt. Wenn Proteste gut organisiert sind, macht die Regierung oft Zugeständnisse. Doch wenn nur eine Minderheit dahinter steht, werden sie mit Polizeigewalt unterdrückt.

Wie werden die Proteste koordiniert?
Es gibt keine Gewerkschaften oder andere landesweite Organisationen, die nicht unter Kontrolle der Regierung stehen. Man findet nur informelle Vereinigungen. Vergangenes Jahr zum Beispiel gab es eine Streikwelle von TaxifahrerInnen in mehreren Städten, weil die FahrerInnen zu hohe Mieten an die Taxifirmen zahlen müssen. In Chongqing waren über 70.000 TaxifahrerInnen zwei Tage im Streik und der örtliche Parteichef sah sich zu Zugeständnissen gezwungen – er mußte z. B. vor Fernsehkameras mit den Streikenden verhandeln. Nach diesem Erfolg haben TaxifahrerInnen in anderen Städten die Proteste von Chongqing kopiert. Mit unterschiedlichem Ausgang – manche Aktionen wurden von der Polizei beendet, andere waren erfolgreich (1).

Die Kommunistische Partei Chinas ist mit 70 Millionen Mitgliedern die größte KP der Welt. Doch im Jahr 2002 wurde das Parteistatut geändert, um MillionärInnen die Mitgliedschaft zu erlauben. Wie leben die ParteiführerInnen jetzt?
Selbst zu Zeiten Maos hatte die Bürokratie der KPCh ziemliche Privilegien im Vergleich zur normalen Bevölkerung. Doch in den letzten 30 Jahren ist diese Kluft enorm geworden. China wird zu einer der ungleichsten Gesellschaften der Welt. 0,4% der Familien (das sind 1,5 Millionen Familien) kontrollieren 70% der Reichtümer im Land. (2) RegierungsbeamtInnen geben jedes Jahr rund 90 Milliarden Euro (900 Milliarden RMB) für Auslandsreisen, Luxusgüter, Autos, Büros und Banketts aus. Das ist ungefähr 20% der gesamten staatlichen Ausgaben! (3)

Wie geht die chinesische Linke mit dem Erbe Mao Tse-tungs um?
Maoistische Ideen und Symbole werden seit einiger Zeit immer beliebter. Der größte Teil der Neuen Linken ist maoistisch beeinflußt, aber es gibt auch eine kleinere trotzkistische Bewegung. Maos Ideen und Traditionen haben eine weite Verbreitung, und zwar nicht nur unter der älteren Generation: Letztes Jahr entstand z. B. eine Untergrundorganisation mit dem Namen »Maoistische Kommunistische Partei Chinas«. Sie bezeichnet die aktuelle Führung der regierenden Kommunistischen Partei als »komplett prokapitalistisch und revisionistisch«, sie arbeitet auf ihren Sturz hin. Die Wiederbelebung des Maoismus ist eine Reaktion auf die neoliberale Politik der Regierung.
Dieser »Neo-Maoismus« bringt die Suche nach sozialistischen Alternativen zum Ausdruck. Doch ich glaube nicht, dass maoistische Ideen eine wirkliche Alternative darstellen. Auf unserer Website chinaworker.info versuchen wir, die Lehren aus der chinesischen Revolution zu ziehen: wirklicher Sozialismus muss demokratische Kontrolle durch die ArbeiterInnenklasse bedeuten, nicht durch eine Bürokratie, wie unter Mao der Fall war. Die Schwächen des Maoismus werden durch die aktuelle Erfahrung gezeigt: die Wiedereinführung des Kapitalismus in China geschah unter der Partei und unter der Regierung, die Mao geschaffen hat. Offensichtlich standen diese Institutionen nicht unter der Kontrolle der ArbeiterInnenklasse.

Es ist 20 Jahre her, daß die Proteste am Platz des himmlischen Friedens in Peking niedergeschlagen wurden. Wie hat sich das Land seitdem entwickelt?
In den vergangenen 20 Jahren ist China kapitalistischer und weniger demokratisch geworden. Es ist ein Mythos, daß dort Marktwirtschaft und Demokratie Hand in Hand gehen. Demokratische Rechte müssen erkämpft werden, vor allem durch die ArbeiterInnenklasse. In den kommenden Jahren wird es neue, große Bewegungen geben – sogar ein neues 1989 ist möglich – gegen Jobverlust und Kürzungen, aber auch für demokratische Rechte wie Koalitions-, Presse-, Versammlungsfreiheit usw. Nicht nur das chinesische Regime, sondern auch die multinationalen Konzerne wollen das verhindern. Deswegen bevorzugen die KapitalistInnen das Einparteiensystem in China.

Du arbeitest für die Website chinaworker.info. Was für Arbeit macht die trotzkistische Linke in China?
Unsere Arbeit dreht sich darum, ArbeiterInnenkämpfe zu unterstützen und bekannt zu machen. Mit Büchern und Zeitschriften wollen wir ein Forum bieten, um die Lehren der verschiedenen Kämpfe zu diskutieren: wie können wir uns organisieren und was für ein Programm brauchen die ArbeiterInnen, um sich zu vereinigen und sich durchzusetzen? Genaues kann ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen, aber ein Großteil unserer Arbeit läuft im Internet, denn es wird für die chinesische Jugend immer wichtiger.

Ist die linke Opposition Repressionen ausgesetzt?
Die Regierung duldet keine unabhängigen Organisationen. Früher hieß es, daß nur rechte, prokapitalistische Strömungen gefährlich und die linken Oppositionellen keine Bedrohung seien. Vor allem seit Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise wird die Linke aber zunehmend überwacht, es gibt auch Verhaftungen und ähnliche Schikanen.

Interview: Wladek Flakin

Kürzere Version dieses Interviews erschien in der jungen Welt am 4. Mai

Notizen:
(1) Link
(2) Link
“The Chinese branches of the Boston Consulting Group, on the Chinese government’s behalf, published an investigative report on October 17, 2006, which was covered by numerous Chinese periodicals such as the Chinese Youth. According to the report, the top 0.4% of Chinese families (about 1.5 million) own over 70% of the nation’s wealth, while in contrast, in most developed nations, the top 5% of the families own around 60% of the total wealth.”
(3) Link
“Oh My! A total of RMB 900 billion of taxpayers’ money spent each year by Chinese officials on meals, overseas travel and “public” cars. I guess RMB 900 billion is not an astronomical number anymore, not now that the central government has announced a RMB 4 trillion stimulus package and local governments have proposed RMB 20 trillion. Still, as discussed in several Chinese media reports, RMB 900 billion is enough to build 90 maglev trains, complete 5 Three Gorges Dam projects and shock 1 CCTV reporter.”



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