Der Menschenstrom vom Brandenburger Tor Richtung Siegessäule im Herzen Berlins schien wirklich endlos zu sein. Am 24. Juli kamen bis zu 200.000 Menschen in den Berliner Tiergarten, um eine Rede des US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama zu hören. Wie bei der EM-Fanmeile ein Monat davor gab es neben den Großbildschirmen unzählige Bier- und Wurststände.
Der Auftritt selbst war überraschend minimalistisch: ein einziger Redner, ohne Musik oder Warumup-Reden, ohne riesige Plakate als Kulisse. In der 28minutigen Rede ging es um… im Endeffekt alles. Obama schlug einen großen inhaltlichen Bogen von der Berliner Luftbrücke über religiöse Konflikte und globale Erwärmung bis zu den Kriegsdrohungen gegen den Iran.
Teilweise klang die Rede wie aus dem Kalten Krieg. Es ging um böse “KommunistInnen, die die Flamme der Freiheit auslöschen wollten,” Mit Feindbildern von gestern sollte Stimmung für die Kriegseinsätze von heute gemacht werden. Obama bezog sich auf eine Rede des West-Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter im September 1948, als dieser für Hilfe gegen die sowjetische Blockade appellierte. Dann gelang es ihm relativ leicht, das Thema vom kalten Krieg zum sogenannten “Krieg gegen den Terrorismus” zu wechseln, nach dem Motto: “damals und heute müssen wir gegen die Bösen aus dem Osten zusammenhalten!”
Die zentrale Botschaft der Rede war aber eindeutig: “Send more troops to Afghanistan!” Obama konnte eine direkte Aussage zum Thema geschickt vermeiden, aber er sprach von der Notwendigkeit, dass die EuropäerInnen in Afghanistan “mehr Verantwortung übernehmen” – damit kann nur die Verantwortung gemeint sein, den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Er sprach von den “HeroinverkäuferInnen auf euren Straßen”, die mit den “Al-Qaeda-TerroristInnen am Hindukusch” verbunden seien. (Aber da der Opiumanbau seit dem Beginn des Besetzung Afghanistans massiv gestiegen ist, fragt mensch sich, ob dieses Argument für die Fortführung des Militäreinsatzes wirklich taugt.) Schliesslich sagte er, mehr oder weniger direkt: “Die Menschen in Afghanistan brauchen unsere Truppen und Eure Truppen”.
Trotz der klaren Forderungen nach mehr militärischem Engagement hielten viele ZuschauerInnen Obama für einen tatsächlichen Gegner der US-amerikanischen Kreuzzüge der letzten Jahre. Doch wie ein Reporter der New York Times berichtete, waren die meisten ZuschauerInnen “nicht ganz im Klaren über [Obamas] Politik. Als Beweis zitierte er eine junge Frau, die Obama dafür lobt: “He’s against the Iraq War… that’s the most important thing” (1). JedeR New York Times-ReporterIn weiß, dass sich Obama eben nur für einen langsamen Truppenabzug aus dem Irak ausgesprochen hat – und das nur, um mehr Truppen für weitere Kriege in Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern freizuhalten. Trotzdem scheinen unzählige Gutmenschen aus Deutschland unter dem Missverständnis zu leiden, dass Obama irgendwie gegen den Irak-Krieg war oder ist: als er in Bezug auf den Irak forderte, “diesen Krieg endlich zu beenden”, waren “O-BA-MA! O-BA-MA!”-Rufe zu hören.
Um auf solche Widersprüche aufmerksam zu machen, hatten verschiedene AktivistInnen vor der Veranstaltung protestiert. Stefan, ein US-amerikanischer Aktivist, der beim Vietnamkrieg diente und seit 30 Jahren gegen imperialistische Kriege protestiert, meinte: “Es gab noch nie eine US-Regierung, die ich unterstützte.” Für ihn bestand Obamas Rede aus vielen leeren Floskeln: “Das Einzige, was er nicht gesagt hat, war: ‘Ich bin ein Berliner.'” Auch Michael, ein trotzkistischer Aktivist aus Seattle, meinte in Bezug auf seine Landsleute: “Sie müssen einsehen, dass Wahlen nicht der Weg sind, um irgendwas in unserem Land zu ändern.” (Andere anwesende US-AmerikanerInnen waren deutlich leidenschaftsloser. Cameron, der am Straßenrand riesige Obama-Buttons verkaufte, meinte: “Ich bin zwar Unterstützer der Obama-Kampagne, aber ich muss auch meine Miete bezahlen.”)
Die OrganisatorInnen der Kundgebung hatten im Vorfeld jegliche Plakate oder Transparente verboten. Weit vor der Bühne war eine Absperrgitter, an der es Kontrollen wie im Flughafen gab. Alle Menschen mit politischen Materialien wurden von den privaten Securitys schickaniert und des Platzes verwiesen.
Die Stimmung unter den meisten TeilnehmerInnen (zumindest die weiter hinten, die nicht sechs Stunden in der Sonne gewartet hatten) war eher Neugier als Hoffnung. Viele Jugendliche bezeichneten Obama als “kleineres Übel”, nicht als “Hoffnungsträger”. Aber die deutsche Bourgeoisie freut sich extrem auf die Vorstellung eines US-Präsidenten, der die Kriegspläne der Supermacht mit anderen imperialistischen Großmächten wie der BRD abspricht. Die deutschen KapitalistInnen sollen mit Hilfe von einem Präsident Obama (und dem liberalen Flügel der US-Bourgeoisie, der hinter ihm steht) mehr Mitspracherecht in der Weltpolitik bekommen, und deswegen hat die bürgerliche Presse in Deutschland diese Wahlkampfveranstaltung pausenlos gepusht.
Aber nicht nur die deutsche Bourgeoisie, auch ihre “sozialistischen” HelfershelferInnen träumen von Obama. Etwa der Linkspartei-Vorsitzender Gregor Gysi schwärmte, dass Obama bereit sei, “auf andere Länder zuzugehen” – dass er “nicht kulturell dominieren, sondern verschiedene Kulturen akzeptieren” wolle (2). Die Linkspartei-Führung zeigt wieder, dass sie nicht gegen imperialistische Kriege per se ist, sondern nur gegen solche, die sie als “illegal” oder besonders “aggressiv” betrachtet. Mit einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene im Auge müssen die Herren Regierungssozialisten beweisen, dass sie “legale” und “humanitäre” imperialistische Kriege mittragen würden.
Noch schockierender war ein Artikel in der neusten Artikel von “Rotdorn”, der Zeitschrift der Linksjugend-Solid in Berlin-Brandenburg. Obama wird – so verspricht der Linkspartei-Nachwuchs – die US-Truppen aus dem Irak abziehen, ein allgemeines Krankenversicherungssystem einführen, und auf Diplomatie statt auf Kriege setzen. Sie preisten sogar, dass Obama den Konflikt mit dem Iran “mit direkter Diplomatie und gegebenenfalls internationaler Zusammenarbeit und ökonomischen Sanktionen lösen” wird (3).
Nun musste jeder Mensch, der sich als Anti-Kriegsaktivist versteht, eigentlich wissen, dass solche Sanktionen in erster Linie die einfache Bevölkerung treffen. So führten die von der UNO beschlossenen Sanktionen gegen den Irak zwischen den Jahren 1990 und 2003 zum Tod von weit über einer Million IrakerInnen (4) – damit waren sie deutlich zerstörerischer als der zweite Irak-Krieg, der ohne die Zustimmung der UNO stattfand. Wieder erweist sich der Pazifismus, u.a. die grenzenlose Verehrung der UNO als Instrument des Weltfriedens, als ziemlich hilflos gegen die zunehmende Kriege auf der Welt.
Statt Hoffnungen auf ein “kleineres Übel” wie Obama zu setzen, sollen wir selbst gegen imperialistische Kriege aktiv werden und uns mit den Menschen in den betroffenen Ländern, die gegen Besatzungsmächte kämpfen, solidarisieren. Wenn die 200,000 BerlinerInnen nicht auf eine halbpolitische Fanmeile sondern auf eine kämpferische Anti-Kriegsdemo gehen würden, dann wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan.
Wladek, Revo Berlin, 6. August 2008
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Notizen:
(1) Die Menschen seien laut dem Chef des Berliner Büros der New York Times “a little hazy on his policies.” Nicholas Kulish: “Reporter’s Notebook: Obama in Berlin”, http://video.on.nytimes.com/?fr_story=01d7192bcaa8aa9604bb98542281f05d959a7754
(2) Mareen Heying: “Er kam, sah, und sagte nichts”, http://www.jungewelt.de/2008/07-26/060.php
(3) Epikur: “Barack Obama – Hoffnungsträger oder Entertainer?”, http://rotdorn.org/rd49web.pdf
(4) http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Iraq_sanctions&oldid=223982297
April 1st, 2009 at 18:12
Wenn Du meinen Artikel im Rotdorn genau gelesen hättest wäre Dir aufgefallen, dass ich nichts “verspreche” (wie Du es hier formulierst) was Obama sagt. Ich habe lediglich seine Wahlkampfversprechen vorgetragen. Zu der Zeit, wo ich den Artikel geschrieben habe, war Obama nämlich noch nicht US-Präsident.
Außerdem habe ich gegen Ende des Artikels eindrücklich darauf hingewiesen, dass “sollte Obama seine Versprechen halten…” – in dieser Formulierung ist bereits Vorsicht angemahnt und wohl kaum eine Jubelrede auf Obama als Erlöser.
Davon abgesehen stimme ich Dir zu, dass es ganz sicher nicht ausreicht, auf Obama zu setzen, um eine gerechtere, solidarischere Welt zu schaffen. Auch Obama wird sich spezifischen US-Strukturen beugen müssen. Trotzdem ist die Ankündigung Obamas (Anfang 2009) Guantanamo zu schließen und auf den Iran zuzugehen, erstmal nicht schlecht. In Afghanistan massiv aufzurüsten ist allerdings eher negativ zu bewerten.
April 7th, 2009 at 09:42
JedeR hier kann den Artikel im Rotdorn genau lesen: http://rotdorn.org/rd49web.pdf (Seite 23).
Da steht: Obama “will, falls er amerikanischer Präsident wird, vor allem einen schnellen Rückzug der US-Truppen aus dem Irak vorantreiben.” Er “will” eine Krankenversicherung für alle US-AmerikanerInnen, er “will” Frieden, Freude und auch Eierkuchen.
Doch als denkender, schreibender linker Mensch muss man doch unterscheiden zwischen dem, was PolitikerInnen im Wahlkampf versprechen und das, was ihr Programm bedeutet. Merkel “will” ja Wohlstand für alle in der BRD und der Welt – doch was ist ihr Programm?
Das Problem ist eben nicht, dass Obama nicht das umsetzen kann, was er eigentlich gern hätte. Obama war immer ein Politiker der herrschenden Klasse der USA. Er steht für einen etwas anderen Stil des US-Imperialismus, aber er kann gar nicht für eine grundsätzlich andere Politik stehen.
Deswegen sind selbst kleine Schritte wie die (irgendwann stattfindende) Schliessung von Guantanamo völlig unzureichend – du hast sicherlich mitgekriegt, dass die Obama-Administration sich gegen jegliche Aufarbeitung des staatlichen Folterprogramms massiv wehrt.
In unserer aktuellen Zeitung haben wir einen Artikel dazu:
http://www.revolution.de.com/zeitung/zeitung34/obama.html
April 7th, 2009 at 19:08
Natürlich sollte man als denkender Mensch unterscheiden zwischen dem was Politiker “wollen” und dem, was in ihrem Programm steht. Dies geht allerdings nur, wenn diese auch ein Programm haben! Also noch einmal: ich habe den Artikel im Rotdorn geschrieben, als Obama noch NICHT US-Präsident war. Demzufolge gab es noch kein “Programm”, sondern lediglich seine Wahlkampfversprechen. Angekommen?
Auch ich sehe Obama nicht als Erlöser, sondern durchaus kritisch. Etwas mehr Differenziertheit würde ich mir an dieser Stelle aber auch wünschen. Die Generalkeule “US-Imperialismus” zeugt eben nicht davon.
April 8th, 2009 at 08:07
Ich glaube, dass Obamas Regierungsprogramm absehbar war – erstens durch seine eigenen Aussagen dazu im Wahlkampf und zweitens durch die Strukturen, in denen er arbeitet.
Der Artikel oben wurde ein halbes Jahr vor dem Amtsantritt geschrieben und trotzdem steht ziemlich genau da, wie seine Irakpolitik seit dem 20. Januar ausgesehen hat: “JedeR New York Times-ReporterIn weiß, dass sich Obama eben nur für einen langsamen Truppenabzug aus dem Irak ausgesprochen hat – und das nur, um mehr Truppen für weitere Kriege in Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern freizuhalten.”
Entschuldigung, aber du würdest keinen Artikel über Frank-Walter Steinmeier schreiben, der so anfängt: “Steinmeier will einen Wandel in Deutschland. Er will, dass es allen Menschen gut geht. Er will Frieden in der Welt. Doch ob er das umsetzen kann, wird sich zeigen.” Schliesslich hat er persönlich eine Geschichte. Schliesslich arbeitet er in einer Partei, die mensch kennt. Schließlich arbeitet er im Rahmen von kapitalistischen Strukturen, deren Grenzen bekannt sind.
Wie würdest du den US-Imperialismus bezeichnen?