„Die ganze Geschichte der proletarischen Jugendbewegung in jedem Land zeigt, dass nur unabhängige, d.h. sich selbst verwaltende Jugendorganisationen kühne und entschlossene revolutionäre KämpferInnen sowie schlaue OrganisatorInnen der proletarischen Revolution und Rätemacht entwickeln.“ (Thesen zur revolutionären Jugendbewegung, Zweiter Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920)
In den Massenbewegungen gegen Krieg und Neoliberalismus der letzten Jahre haben Jugendliche eine tragende Rolle gespielt. In Frankreich und Chile haben wir wieder gesehen, wie Jugendliche die Masse der DemonstrantInnen stellen, jedoch keine eigene politische Stimme haben. Die Führung dieser Bewegungen wird von etablierten reformistischen Parteien gestellt; um die Jugendlichen zu radikalisieren und von dieser Führung zu trennen, treten wir für die Schaffung von unabhängigen, revolutionären Jugendorganisationen, vereinigt in einer Jugendinternationale, ein.
Die Frage, die sich um diese Konferenz herum stellt, ist die Frage, ob und wie REVOLUTION in der Lage ist, dieses Projekt voranzutreiben.
Dass REVOLUTION in einer Krise steckt, geht aus dem Papier von L. hervor. Die letzte Konferenz in Wien, die unsere Strukturen ausbauen sollte, hat sie fast vollständig lahm gelegt. Bevor wir wieder von vorne anfangen, sollen wir unsere Erfahrungen auswerten.
Es ist bemerkenswert, dass die Liga für die Fünfte Internationale (LFI) – die Organisation, die voraussichtlich 75% oder mehr der Delegierten auf der Konferenz stellen wird – auf 19 Seiten Konferenzpapiere nur am Rande erwähnt wird.
Wir schliessen uns vielen Punkten im Papier von S. (REVO/CZ) an, aber möchten einige Kritikpunkte hinzufügen.
Welche Strukturen gab es bisher bei REVOLUTION?
Die erste internationale Struktur von REVOLUTION wurde auf einer Versammlung auf dem REVOCAMP 2003 in Prag geschaffen. Die Sitzung, die das WRICC (World Revolution International Coordinating Committee) geschaffen hat, war mühsam: eine halbe Stunde lang ging es um die Frage, ob jede Sektion ein oder zwei Vertreter/innen haben soll (am Ende hat man sich auf eine/n Vertreter/in und eine/n Stellvertreter/in geeinigt). Doch diese Langwierigkeit hatte den Vorteil, dass alle Mitglieder von REVOLUTION wussten, was sie gerade geschaffen hatten.
So konnte das WRICC seine Arbeit – mit der keines seiner Mitglieder Erfahrung hatte – bald aufnehmen. Es gab erste Stellungnahmen, es gab Koordinierung an globalen Protesttagen, es gab eine international organisierte Kampagne für Mario Bango, Planung für das REVOCAMP 2004, ein Treffen in London, eine Schulungsveranstaltung usw. usf.
Das WRICC hätte sicher besser sein können, aber es war ein wichtiger erster Schritt für den Aufbau demokratischer internationaler Strukturen. Als nächster Schritt sollte auf der Delegiertenkonferenz im Mai 2005 in Wien das RIC (Revolution International Council) geschaffen werden, um unsere Organisierung zu vertiefen.
Doch das RIC hat die Aktivität des WRICCs nicht ausgebaut – es hat sie nicht einmal aufrechterhalten. Im ersten Jahr seiner Existenz es gab keine Treffen, keine internationalen Aktionstage, wenig Austausch von Informationen und so gut wie keine Diskussion. Selbst die Zahl und die Qualität der Stellungnahmen ging deutlich zurück. Der Höhepunkt der Aktivität des RICs lag wohl in der Einrichtung eines internationalen Email-Kontos – über die Korrespondenz über dieses Konto gab es aber nicht mal einen einzigen Bericht.
Was passierte bei der letzten Konferenz?
Wenn wir die Strukturen von Revo dialektisch – d.h. als sich bewegende Widersprüche – zu begreifen versuchen, so brauchen wir kein Bild der momentanen Zustände sondern ein Bild der Entwicklungen. In diesem Sinn müssen wir feststellen, dass unsere Strukturen mit der Schaffung des RICs einen deutlichen Rückschlag erlitten haben.
Im Papier von L. heißt es, dass wir “unseren demokratischen Zentralismus real machen” müssen – dann sind wir uns alle einig, dass unser demokratischer Zentralismus im Moment nicht real ist. Es gibt “unseren demokratischen Zentralismus” nicht, oder höchstens nur auf Papier.
Demokratischer Zentralismus basiert auf die Verbindung von möglichst demokratischer Entscheidungsfindung mit möglichst geschlossener Umsetzung: Freiheit in der Diskussion, Einheit in der Aktion.
Doch im letzten Jahr hatten wir auf internationaler Ebene weder Diskussion noch Aktion. Die Inaktivität kann weder zentralistisch noch föderalistisch, weder demokratisch noch bürokratisch sein – sie ist nichts! Wenn wir Inaktivität als “weiteren Schritt hin zum demokratischen Zentralismus” definieren, so ignorieren wir die tatsächlichen Entwicklungen, so machen wir den Begriff und die dahinter steckenden Ideen lächerlich.
In dem Dokument von L. heißt es, wir müssten auf dem „Boden der Ideen“ eine Einigung über den demokratischen Zentralismus erzielen. Gleichzeitig wird wiederholt von “Differenzen über den demokratischen Zentralismus im RIC” geredet, ohne konkret zu sagen, wo diese Differenzen sind. “Auf dem Boden der Ideen” gibt es, unseres Wissens, kaum Differenzen.
Dabei gibt es einige Differenzen auf dem Boden der Praxis. Wir können mal ein Beispiel zitieren: als die letzte internationale Delegiertenkonferenz mit einer 80%-Mehrheit beschlossen hatte, dass REVO/AT am REVOCAMP 2005 teilnehmen sollte, wurde dieser Beschluss ignoriert, und auch nachträglich im RIC als Fehler kritisiert. Doch eine Entscheidung von REVO/DE über Einladungen zu ihrer eigenen Konferenz im März 2006 sollte durch eine Mehrheit von einer Stimme im RIC einfach aufgehoben werden. (Wir schreiben noch ein separates Papier dazu.)
Dieselben GenossInnen, die den ersten Beschluss als einen Fehler bezeichneten, haben den zweiten eingebracht. Immerhin sieht Susi in beiden Beschlüssen die gleiche (falsche, ultrazentralistische) Methode. Für die RIC-(LFI-)Mehrheit wurde aus der Losung “internationale Strukturen können die Prioritäten der nationalen Sektionen nicht vorschreiben” binnen weniger Monate “die Sektionen haben sich an den Vorgaben des RICs zu halten.”
Wenn ein solcher Doppelstandard unter dem Hut des demokratischen Zentralismus verteidigt wird, haben wir tatsächlich Differenzen! Doch in Wirklichkeit gibt es keinen Doppel-, sondern nur einen einheitlichen Standard: die fraktionellen Interessen der LFI, Revo-Beschlüsse hin oder her, werden einfach als “demokratischen Zentralismus” bezeichnet.
Für die Inaktivität aller internationalen Strukturen während des letzten Jahres gibt es verschiedene Erklärungen: Eine ist die unheimlich schlechte Vorbereitung der letzten Konferenz. Es gab auch Verweise auf schwierige “objektive Umstände” (wobei uns nicht klar ist, welche Umstände sich genau im Mai 2005 änderten, um unsere internationalen Strukturen dermaßen zu schwächen). Diese Erklärungen sind für uns keine Begründung dafür, dass eine Versammlung von zwanzig jungen Revolutionär/innen nicht in der Lage war, irgendwie funktionierende Strukturen zu schaffen bzw. bestehende Strukturen aufrecht zu erhalten.
Deshalb stellt sich die Frage: Wie wurde das Statut beschlossen, das uns so viel Ärger eingebracht hat?
Woher kam das Statut von REVOLUTION?
Ein Entwurf für ein Statut, der von der Leitung (dem Internationalen Sekretariat – IS) der LFI beschlossen wurde, wurde schon einige Monate vor der Konferenz in den Revo-Gruppen verbreitet und diskutiert. Erst kurz vor der Konferenz wurde ein ganz anderes Statut, in Form von weitgehenden Abänderungen, vom LFI-IS beschlossen, was den ersten Entwurf ersetzte. Dieses neue Statut haben Nicht-Mitglieder der LFI weder vor noch auf der Konferenz bekommen – sie bekamen die Abänderungen kurz vor der Abstimmung auf Englisch von L. mündlich vorgetragen. Aber die LFI-Mitglieder stellten 14 von 19 Delegierten auf dieser Konferenz und so konnte das Statut mit großer Mehrheit beschlossen werden.
Dabei fiel eine ausführliche Diskussion über Strukturen, wie es sie bei der Schaffung des WRICCs gegeben hat, komplett aus. Nur so ist es möglich, dass GenossInnen, die mit ihrer Zustimmung zum Statut selbst für die Abschaffung der von den Sektionen ernannten RIC-StellvertreterInnen stimmten, das ganze weitere Jahr lang als RIC-StellvertreterInnen agieren konnten, vielleicht ohne etwas gemerkt zu haben.
Es ist natürlich praktisch, die Schuld am Versagen des RICs auf die Nicht-Existenz eines Exekutivbüros, also auf ein rein organisatorisches Problem, zu schieben. Doch dabei vergisst man, dass mehrere Delegierte schon während der Konferenz darauf hingewiesen haben, dass ein über mehrere Städte zerstreutes Büro nicht funktionieren würde. Warum konnte das damals nicht ausdiskutiert werden? Warum konnte das im Laufe des Jahres nicht korrigiert werden? Weil solche Diskussionen nicht in Revo sondern in ganz anderen Rahmen stattfanden.
Nun, passierte das denn wirklich so? L. antwortete auf diese Kritik, das Statut sei gar nicht vorher beschlossen worden. Aber M., vom LFI-IS, hatte nur wenige Tage davor auf die Kritik geantwortet, diejenigen unserer Mitglieder, die damals in der LFI waren, seien selbst mit genau diesem Vorgang einverstanden gewesen. (M. meinte gleichzeitig, die LFI hätte für die Konferenz weitere Beschlüsse vorher festlegen sollen!) R. aus Österreich meinte, “es wurde nichts vorgegeben” (auf der Konferenz von REVO/DE am 19.3.06), während Mi. sich erinnern konnte, dass “einige Abänderungen durch die LFI-REVO-Mitgliedschaft gemacht wurden” (im RIC-Verteiler am 4.3.06). Was also?
Aus formell demokratischer Sicht ist an dem ganzen Vorgang nichts auszusetzen. In einer demokratischen Organisation darf die Mehrheit machen, was die Mehrheit will. Doch damit bleibt die Frage, wozu man dann eine internationale Konferenz überhaupt braucht. Wie ein Genosse von REVO/DE es formulierte: Das LFI-IS hätte uns einen Brief mit “unserem” Beschluss schicken können, und damit den Konferenzteilnehmer/innen viel Zeit und Energie gespart.
Die Verleugnung durch L. und R. zeigt, dass sie in dieser Praxis einen Fehler erkennen. Wäre das eine akzeptable demokratische Praxis gewesen, dann hätte man sie so verteidigt. Aber auch Lenin und die Bolschewiki sahen keinen Zweck in Sowjet-Kongressen, auf denen eine absolute Mehrheit der Delegierten einer Fraktion angehörten.
Die Frage ist, wie wir mit diesem und anderen Fehlern umgehen. Man kann jegliche Kritik abwehren, indem man sagt, dass alle, die auf diese Fehler aufmerksam machen, den demokratischen Zentralismus an sich ablehnen und “unmarxistisch” sind. Aber genau diese Weigerung, Fehler zu diskutieren und dadurch zu beheben hat unsere Strukturen ein Jahr lang gelähmt. Ohne eine offene Diskussion werden sie weiterhin gelähmt sein.
Wie können wir die anhaltende Krise bewältigen?
Es ist illusorisch zu glauben, dass eine einstündige Diskussion in Prag die Krise von REVOLUTION lösen könnte, zumal manche Sektionen nur schwach (DE), manche gar nicht (CH, IN) vertreten sein werden. Eine Diskussion über den demokratischen Zentralismus im Allgemeinen, aber vor allem über seine praktische Anwendung und unsere Erfahrung damit, muss die gesamte Mitgliedschaft erfassen.
Eine rein organisatorische Lösung (etwa die Schaffung eines Büros mit zwei LFI-Mitgliedern, die mit einem Pseudomandat über alle Sektionen herrschen soll) wird unsere internationale Organisation nur weiter schwächen. Demokratischer Zentralismus wird nicht dadurch geschaffen, dass man den Begriff 23mal in einem Papier wiederholt. Es muss dadurch entwickelt werden, dass alle Mitglieder von allen Revo-Gruppen demokratisch in politische Diskussionen einbezogen werden, damit alle zentralistisch handeln können.
Ein erster Schritt wäre die Offenlegung aller Informationen aus dem RIC. Wir in REVO/CH und REVO/DE machen jegliche Korrespondenz aus dem RIC der gesamten Mitgliedschaft zugänglich und wir wundern uns darüber, dass andere Sektionen das nicht tun.
Darüber hinaus muss das RIC politische Diskussionen anstoßen, nicht nur unter sich, sondern in der gesamten Mitgliedschaft von Revo – ein bloßes Austauschen von Erfolgsmeldungen (und ein Vertuschen der Probleme) bringt uns nicht weiter.
Doch keine strukturelle Änderung geht an die Wurzel des Problems: um als internationale Organisation agieren zu können, brauchen wir Demokratie auf allen Ebenen – nur so können wir politische Einheit herstellen und geschlossene Aktionen durchführen. Offenheit und Transparenz ist die Grundvoraussetzung für Demokratie.
Demokratie ist mit der Existenz einer Mehrheitsfraktion, die geheim handelt, unvereinbar.
Selten wird offen darüber gesprochen, aber es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass Entscheidungen, wie die zum Statut, vorher von der LFI beschlossen wurden (es gab z.B. Ende 2005 eine Austrittswelle aus der GAM/LFI aus Protest gegen solche Vorgaben). Wir müssen klar und deutlich sagen:
Die Existenz dieser Fraktion ist antidemokratisch, verhindert die Entwicklung von Revo und ist ohne Beispiel in der Geschichte der kommunistischen Jugendbewegung. Es bedeutet, dass Revo keine organisatorische Unabhängigkeit von der LFI hat, geschweige denn eine politische. Es ist ein Ausdruck davon, dass man nicht an die Fähigkeiten von Jugendlichen glaubt, sich selbstständig zu organisieren. Mit dem “Entrismus in der eigenen Jugendorganisation” (um das Mitglied von REVO/DE nochmals zu zitieren) muss Schluss sein.
Immerhin wird in dem Papier von L. festgestellt, dass die letzte Konferenz nicht ausreichend politisch vorbereitet wurde. Vielleicht deshalb, weil die politische Vorbereitung ausschließlich in den geschlossenen Räumen der LFI, geheim gehalten vor (Nicht-LFI-) REVOLUTION, stattfand? Es gab tatsächlich eine Diskussion über das Statut von REVOLUTION, aber nur beim LFI-IS. Wie unabhängige Revo-Mitglieder zu sagen pflegen: “wir sind einfach in der falschen e-group”.
Die Internationale Linksopposition stellte in einer Resolution über ihre Aufgaben und Methoden fest:
“Die häufigen praktischen Einwände über “Zeitverlust”, wenn man sich an demokratische Methoden hält, laufen auf kurzsichtigen Opportunismus hinaus. Die Bildung und Konsolidierung der Organisation ist eine sehr wichtige Aufgabe. Für die Erfüllung soll weder Zeit noch Mühe gespart werden. Darüber hinaus bedeutet die Parteidemokratie die einzig vorstellbare Garantie gegen prinzipienlose Konflikte und unbegründete Spaltungen, in letzter Analyse keine Steigerung, sondern eine Senkung der Kosten der Entwicklung. Nur durch ein konstantes und bewusstes Halten an die Methoden der Demokratie kann die Führung wichtige Schritte in eigener Verantwortung nehmen in wirklichen Notfällen, ohne Desorganisierung oder Unzufriedenheit zu provozieren.” (1933)
Man möge glauben, dass ein Durchgreifen der LFI die Entwicklungen von REVO beschleunigen könnte, dass Beschlüsse besser wären und schneller zustande kämen. Doch die Erfahrungen mit dem RIC im letzten Jahr beweisen, dass ein solches Durchgreifen die interne Dynamik der Gruppe tötet und sie lahm legt. Daraus müssen Schlüsse gezogen werden.
Die Liga für die Fünfte Internationale steht vor der Frage, was für eine Jugendorganisation sie will. Will sie eine unabhängige Jugendorganisation REVOLUTION, durch die die Losung der politischen Unabhängigkeit der Jugendbewegung gegenüber reformistischen Arbeiterparteien und zentristischen Organisation glaubhaft wird? Eine Jugendorganisation, die die radikale Jugend zu sammeln und in einer selbstständigen Organisation zu einen vermag? Eine Jugendorganisation, die jungen AktivistInnen die Möglichkeit gibt, eigene Entscheidungen zu treffen und auszuführen, und dafür die Verantwortung zu tragen? Eine Jugendorganisation, die zum Werkzeug für den Aufbau einer revolutionären Partei werden kann?
Oder will sie ihre Jugendorganisation REVOLUTION als Aktionsfront und Rekrutierungspool für die eigene Gruppe?
Wir hoffen, dass die LFI ihre Entscheidung nicht auf den eigenen, kurzfristigen Vorteil bedacht, sondern im Interesse der Arbeiterklasse fällt.
Als Genosse D. vom ASt auf der tschechischen Revo-Konfernz im Februar 2006 die Positionen der LFI in einem Referat darstellte, so fasste er zum Schluss zusammen, dass REVOLUTION letztendlich nichts als eine “Schule” sei, wo Jugendliche für die LFI gewonnen werden.
Ist Revo eine Schule, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass ihre Strukturen kaum aktiver, demokratischer oder handlungsfähiger sind als eine durchschnittliche Schülervertretung.
REVO/DE (Leitung, OG Bernau, OG Wolfsburg), REVO/CH, 28. Juni 2006