Information

Archives

Statistics

  • Posts 526
  • Pages 4
  • Categories 45
  • Comments 134
  • Words in Posts 665,397
  • Words in Pages 12,901
  • Words in Comments 12,619

Newsletter (in English)





Zehntausende gegen die G8

Other Languages:

| Kategorien: G8, Germany, Reports
2007-06-13


130 Millionen Euro kostete der Gipfel vom 6.-8. Juni in Heiligendamm, auf dem sich die Staats- und Regierungschefs der acht mächtigsten Staaten der Erde trafen. Die riesige Befestigungsanlage – ein zwölf Kilometer langer Zaun, 16.000 PolizistInnen und 1.000 SoldatInnen – konnte jedoch nicht verhindern, dass die G8 mit massenhaftem Widerstand konfrontiert wurde. Zehntausende AktivistInnen beteiligten sich an Demonstrationen und Blockaden gegen den G8-Gipfel.

Die Großdemo

Rund 80.000 Menschen nahmen an der Demonstration am 2. Juni in Rostock teil – die größte Demo der antikapitalistischen Bewegung in Deutschland, die es bisher gegeben hat. Schon im Vorfeld gab es endlose Hetze gegen “Chaoten”: Razzien gegen linke Räume und Ermittlungen gegen angebliche “terroristische Vereinigungen” sollten die Bevölkerung gegen die G8-GegnerInnen aufbringen. Das Ende der Demonstration am Samstag schien diese Hetze dann zu rechtfertigen: im Fernsehen sah man, wie schwarz gekleidete Jugendliche Steine warfen und Autos in Flammen standen.

Die Massendemosntration ging in der Berichterstattung völlig unter: „Wollt ihr Tote, ihr Chaoten?”, titelte die BILD-Zeitung am nächsten Tag. Sofort bemühten sich ReformistInnen von Attac und Linkspartei darum, ihre Anständigkeit gegenüber den Herrschenden zu beweisen. Peter Wahl von Attac stellte linke Jugendliche, die eine Anti-G8-Demo verteidigten, auf eine Stufe mit Faschisten: „Wir müssen gegenüber Gewalttätern eine ähnlich harte Haltung einnehmen wie gegenüber Neonazis: Wir wollen euch nicht bei uns.” (1)

Wir von der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION unterstützen die Taktik des Black Blocks nicht – als wir bei der Konfrontation mit den Bullen in den ersten Reihen standen, flogen Steine aus den hinteren Reihen auf die vorderen! – aber es ist schwer zu übersehen, dass die Gewalt vom Staat ausging. Die Polizei startete eine bewusste Provokation gegen die Demo, griff die Demonstranten dann frontal an.

Was sich im Nachhinein zeigte – und was viele ohnehin schon wussten – waren von der Polizei AgentInnen in unsere Reihen gewesen, um genau solche Bilder zu erzeugen. Zweifellos gab es in der Menge auch Jugendliche, die um jeden Preis Steine schmeißen wollten, obwohl solche individuelle Militanz kaum hilft, die Demonstration vor der Gewalt der Polizei zu schützen. Aber auch diese Mobstimmung kommt nicht von ungefähr, sie ist Ausdruck der Perspektivlosigkeit der Jugend im Kapitalismus. Wer ohnehin keine Hoffnung auf ein gutes Leben hat, möchte seine Frust mit dem System irgendwie zum Ausdruck bringen.

Viele DemonstrantInnen (verschiedene türkische Organisationen stalinistischer oder maoistischer Prägung wären zu erwähnen) verteidigten dennoch beispielhaft die Demonstration – nicht durch vereinzeltes Steineschmeißen sondern mit Menschenketten, Fahnenstangen und geschlossenen Blöcken. Deswegen waren sie in den folgenden Tagen eine besondere Zielscheibe für staatliche Repression und Verhaftungen. Insgesamt verhaftete die Polizei weit über 1.000 Menschen und sperrte sie in den sog. “Gefangenensammelstellen” in Käfigen ein.

Die Polizei und die Presse „zählte“ nach der Großdemo bis zu 500 verletzte PolizistInnen, 30 davon schwer. Am Tag darauf gestand man ein, die erste Zahl schloss Bullen ein, die von ihrem eigenen Tränengas verletzt wurden, die zweite Zahl war gänzlich eine Erfindung, da lediglich zwei Bullen im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die mehr als 1.000 verletzten DemonstrantInnen gingen in diesem Zahlenwirrwar der Presse unter…

Die Blockaden

Die Großdemo war nur der Auftakt für eine Woche von Protesten. Rund 10.000 meist junge AktivistInnen versammelten sich in drei Protestcamps und machten während der ganzen Woche Action. Am 4. Juni gab es eine Demonstration für die Rechte von Flüchtlingen mit 10.000 TeilnehmerInnen, die trotz ihres friedlichen Charakters stundenlang von der Polizei aufgehalten und schliesslich aufgelöst wurde. Am 5. Juni waren kleinere Aktionen gegen die Rüstungsindustrie oder im Gedenken an den 40. Jahrestag der Besetzung Palästinas nach dem Sechs-Tage-Krieg.

In den Camps gab es rund um die Uhr Diskussionen, Planungstreffen und Infoveranstaltungen. Abends waren meist Konzerte, mit dem trotzkistischen Rapper “Holger Burner”, den autonomen Akkordeon-und-Geige Liedermachern “Yok N’ Hell” und der Antifa-Hiphop-Crew “Red Star Soundsystem”, neben unzähligen Soundsystems. Die Polizei bedrohte die Camps ständig mit Hubschraubern in der Luft und Wasserwerfern am Eingang, glücklicherweise gab es keine Stürmung der Camps.

Der Höhepunkt der Woche war am 6. Juni bei den Blockaden der Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm. Um die Anreise der rund 3.000 GipfelteilnehmerInnen zu hindern und den Verlauf des G8-Gipfels möglichst zu stören, wurden alle Straßen zwischen dem Flughafen und dem Nobelhotel “Kempinski” an der Ostsee blockiert.

Wir von der REVOLUTION gingen im Rahmen der Kampagne “Block G8” über Felder, um in die 6km-breite “verbotene Zone” rund um den Gipfel einzudringen und die wichtigen Straßen zu besetzen. Die Organisatoren hatten zu “gewaltfreien Massenblockaden” aufgerufen, trotzdem mussten die rund 10.000 AktivistInnen mehrere Polizeiketten durchbrechen und Wasserwerfern und Tränengas widerstehen.

Nach über vier Stunden Massenspaziergang quer durch die mecklenburgische Felderlandschaft gelangten wir in dem Dorf Börgerende auf eine der Zufahrtsstraße, gut einen Kilometer von der Ostsee und vom Zaun entfernt. Schon saß die Blockade und trotz der medialen Hetze stießen wir auf eine herzliche Solidarität der AnwohnerInnen, die mit uns sprachen, uns Wasser gaben, nachdem die Polizei unseren Wasserhahn abgedreht hatte, am zweiten Tag sogar frische Brötchen vorbeibrachte und Kaffee verteilte.

Die Polizei räumte die Blockade mit zwischen 400 und 2.000 TeilnehmerInnen nicht, ließ sie aber umzingelt. So mussten wir zum Beispiel noch in der ersten Nacht Brote und Töpfe voller Grießbrei über nasse Felder schmuggeln, nachdem der Volksküche die Zufahrt verwährt blieb. Die Blockade konnte 44 Stunden, fast bis zum Ende des G8-Gipfels, aufrechterhalten werden. Andere Blockaden wurden heftiger angegriffen und zwischenzeitlich immer wieder geräumt, aber auch sie machten eine Anreise über Land für die G8-TeilnehmerInnen unmöglich. Am Ende wurden die Staatschefs mit Hubschraubern hingebracht, ihre Diener und die Presse mit Booten der Bundesmarine.

Das Konzept der gewaltfreien Massenblockaden war ein voller Erfolg. Die “Fünf Finger”, mit den fünf Blöcken mit unterschiedlichen Farben, zeigen die Bedeutung von Planung und Organisiertheit bei Protesten. Dabei ging es nicht um Gewaltlosigkeit als Prinzip, sondern als Taktik für diese konkrete Aktion. Gewaltlosigkeit ist kein Allheilmittel – genauso wenig wie Gewalt. Es kommt darauf an, in jeder Situation das Kräfteverhältnis abzuschätzen und die notwendigen Mitteln anzuwenden, um politische Ziele durchzusetzen und sich gegen die Gewalt der Polizei zu verteidigen. Um das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu ändern, müssen wir für kommende Proteste dieser Art die revolutionäre Linke weiter aufbauen, um eine größere politische Basis für das offensive Vorgehen gegen die Gipfel zu haben.

Die Gewerkschaften waren bei der Demo und den Blockaden schon zu sehen, hatten aber eher halbherzig mobilisiert. Mobilisierungsarbeit innerhalb der Gewerkschaften kann die Spitzen unter Druck setzen, damit sie ihre Millionen Mitglieder zu Aktionen gegen die Treffen der Herrschenden aufrufen. Positiv zu erwähnen ist die Verdi-Jugend, die im Vorfeld des Gipfels sich gegen “Spaltung … in ‘gute’ und ‘böse’ Demonstrierende” stellte und sagte: “Wir setzen den dreisten Übergriffen die verstärkte Mobilisierung entgegen. Wir rufen alle dazu auf, sich aktiv zu beteiligen und den Protest in und um Rostock auf die Straße zu tragen!” (2)

Der Gipfel und die Bewegung

Die acht Marionetten, die die Welt im Interesse des Kapitals regieren, wurden in der bürgerlichen Presse größtenteils als RetterInnen des Planeten gefeiert: schließlich hätten sie beschlossen, verbindliche Ziele zur Aufhaltung des Klimawandels “in Betracht zu ziehen” und ihre winzigen Almosen für Afrika neu zu verpacken.

Trotz aller Versuche der Medienkonzerne und Wohltätigkeitsmusiker, solche leeren Versprechen als Hoffnung zu verkaufen, merken immer mehr Menschen, dass der globale Kapitalismus die Welt und alle Menschen auf ihr zerstören. Die Staatschefs der acht mächtigsten Länder können nichts dagegen machen – selbst wenn sie es wollten – denn es ist ihr Auftrag, die Profite ihrer Kapitalisten um jeden Preis zu erhöhen.

Eine neue Generation von AktivistInnen drängt, ohne klare Perspektiven aber voller Leidenschaft, immer wieder auf die Straße. Sie wissen, dass sie selbst kämpfen müssen, wenn sie eine bessere Welt wollen. Die Proteste haben gezeigt, dass diese antikapitalistische Bewegung sich noch bewegt – selbst in Deutschland. Der Staat schlägt gegen uns, die Medien hetzen gegen uns, und die selbsternannten Sprecher unserer Bewegung desorganisieren uns bei jedem Schritt – so riefen sie zu einem langweiligen Alternativgipfel mit nur 1.000 TeilnehmerInnen auf, während 10.000 AktivistInnen die Straßen blockierten!

Die Bewegung geht weiter, weil das kapitalistische System täglich Zehntausende umbringt. Aber um vorwärts zu kommen, darf es nicht bei einer losen Bewegung bleiben – wir brauchen eine Organisation auf weltweiter Ebene, um Widerstand gegen die koordinierte Macht der kapitalistischen Staaten zu leisten. Deswegen stieß unser Projekt einer unabhängigen revolutionären Jugendorganisation auf großes Interesse bei den Anti-G8-Protesten. Junge AktivistInnen sollen sich selbstständig bewegen, statt Wasserträger für Bürokraten verschiedenster Couleur zu spielen.

Denn eins ist klar: soll unsere Bewegung nicht unter Kontrolle von Attac oder anderen reformistischen Organisationen bzw. Parteien bleiben, müssen sich die antikapitalistischen Jugendlichen, die immer wieder auf die Straße gehen, sich dauerhaft organisieren!

von Wladek, Revo Berlin, und Susen, Revo Plauen, 13. Juni 07

.

Fussnoten:
(1) Tagesspiegel vom 4. Juni 2007
(2) Verdi-Jugend-Seite



Leave a Reply