Das sechste ESF war dominiert von fader NGO-Politik und verwirrtem Maoismus
Etwa 3000 Personen nahmen am sechsten Europäischen Sozialforum (ESF) in Istanbul teil. Es gab 200 Diskussionen über die ökonomische Krise, Klimawandel, Studierendenproteste und viele andere Themen.
Während das ESF sich mit einigen wichtigen ArbeiterInnen-Kämpfen in der Türkei überschnitt – zum Beispiel der TEKEL- und der UPS Streik – war das Forum dominiert von farbloser NGO-Politik auf der einen Seite und vernebeltem Maoismus auf der anderen (so beispielhaft die unkritische Hochjubelung der “Revolution” in Nepal).
Am Ende unterstützte das Forum den Aufruf der Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) für einen Aktionstag am 29. September, präsentierten aber keinen Aktionsplan, um den Widerstand gegen die Krisenerscheinungen auf dem ganzen Kontinent zu koordinieren.
Das war bis jetzt das kleinste ESF. Dafür gibt es drei Gründe: einer ist die Feindschaft des türkischen Staates gegen jede Art linker Veranstaltung. Während alle vorherigen ESFs mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung linker BürgermeisterInnen stattfand, hat die Stadtverwaltung von Istanbul von Anfang an alle Vorbereitungen für das Forum behindert.
Der zweite Grund ist der ständige Niedergang des ESF seit seinem Beginn 2002: die Zahlen gingen runter von 60.000 in Florenz, 40.000 in Paris, 20.000 in London, 30.000 in Athen und 10.000 in Malmö und nun – am Tiefpunkt – 3000 in Istanbul. Das ESF war immer ein wichtiger Raum, damit sich AktivistInnen europaweit treffen konnten, doch es war nie ein Instrument, um den Klassenkampf vorwärts zu treiben.
Als das ESF entstand, gab es Hoffnungen, dass es ein Koordinationszentrum für Proteste in Europa und der ganzen Welt werden könnte – und das erste Forum machte einen Aufruf zu einem Protesttag gegen den Irak-Krieg, dem mehr als 20 Millionen Menschen gefolgt sind. Doch die Strukturen des ESFs (und des Welt Sozialforums) waren immer von Gewerkschaftsbürokratien und NGOs dominiert, die darauf bestanden, dass das ESF keine Entscheidungen trifft. Nach acht Jahren von dieser Praxis sind alle Hoffnungen in das Forum gestorben.
Der dritte Grund war die Entscheidung einiger grosser trotzkistischer Organisationen wie der Socialist Workers Party aus Britannien, nicht am ESF teilzunehmen – ihre Internationale Sozialistische Tendenz hatte nicht mal eine symbolische Präsenz, weil sie ihre “Marxism”-Veranstaltung am selben Wochenende in London hatten. Das ist besonders unglücklich, weil die SWP, die früher eine wichtige Rolle in der Organisation des ESFs spielte, immer argumentierte, das ESF auf einen unpolitischen und unverbindlichen Austausch zu beschränken, im Namen der Breite. Nachdem sie alles getan hat, dass das ESF gegen einen Felsen aufläuft, haben sie jetzt das sinkende Schiff vollkommen aufgegeben!
RIO, die Revolutionäre Internationalistische Organisation, nahm mit einer Delegation aus Deutschland, der Schweiz und der Tschechischen Republik teil. Wir hatten Diskussuionen mit einigen Kontakten aus der Türkei und verbreiteten unsere Grundsatzdokumente in Türkisch und in Englisch.
Am Samstag auf der Demonstration bildeten wir einen “trotzkistischen Block” zusammen mit GenossInnen der “Bewegung Permanente Revolution” (SDH) aus der Türkei, der OKDE aus Griechenland, der SAV aus Deutschland und dem tschechischem Sozialforum. Ungeachtet politischer Differenzen, die wir mit diesen Gruppen haben, war es ein positives Signal für Internationalismus, dass wir gemeinsame Parolen in Englisch, Türkisch, Griechisch, Deutsch und Tschechisch hatten; unter anderem folgende:
- “The workers, united, will never be defeated!”
- “Hoch die internationale Solidarität!”
- “Önder Lenin, Trotsky! Hedef sovyetler!”
(“Die Anführer: Lenin und Trotzki! Das Ziel: Sowjets!”)
Glücklicherweise funktioniert unser Lieblingsslogan – “One solution: Revolution!” – genauso gut auf Türkisch: “Tek Yol: Devrim!”
Am nächsten Tag machten wir einen Tagesausflug rund um Istanbul. Wir besuchten auch die Ruinen des Hauses auf der Insel Büyükada (Prinkipo), in dem der russische Revolutionär Leo Trotzki vier Jahre im Exil lebte, nachdem er aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde.
von Wladek Flakin, RIO, Berlin, 7. Juli 2010
(Übersetzung: systemcrash, für RIO)
Bilder vom ESF auf Flickr
Bilder vom Trip nach Prinkipo auf Flickr