Bei den tschechischen Parlamentswahlen Ende Mai verloren alle Parteien an Boden
Am 28. und 29. Mai fanden in der Tschechischen Republik Parlamentswahlen statt. Die letzten Wahlen vor vier Jahren endeten mit einem Patt (die rechten und die linken Parteien bekamen jeweils genau 100 Sitze), aber dank der Korruption unterstützten zwei SozialdemokratInnen die Wahl einer rechten Regierung. Diese Regierung stürzte vor einem Jahr und für den Rest der Wahlperiode war eine “technokratische Regierung” an der Macht, welche im wesentlichen eine geheime “große Koalition” von den SozialdemokratInnen und den Konservativen von der Partei ODS darstellte. Das ist der Grund, warum diese beide Parteien die meisten Stimmen bei den Wahlen verloren haben. Die Wahlbeteiligung war mit nur 62,6% die niedrigste in der tschechischen Geschichte. Wir wollen uns die Ergebnisse der einzelnen Parteien etwas genauer anschauen.
Sozialdemokratie – Der Sieger? Ja, aber eigentlich der Verlierer!
Die “orangene” Tschechische Sozialdemokratische Partei (CSSD) gewann diese Wahlen mit 22,1% der Stimmen. Aber bei den letzten Parlamentswahlen 2006 bekamen sie 32,3%, sodass sie fast ein Drittel ihrer Stimmen verloren haben, trotz der Tatsache, dass sie die letzten drei Jahre in der Opposition verbrachten (was traditionell besser für sie ist). Aber das war keine Überraschung. Nach dem Sturz der Rechtsregierung 2009 bildeten sie eine “große Koalition” mit ihrem größten politischen Gegner, der ODS. Diese Regierung, unterstützt von den SozialdemokratInnen, vollzog soziale Kürzungen aller Art. Sie versagten ebenso, eine Antwort auf die Panik über die Krise in Griechenland zu geben, welche von den bürgerlichen Medien geschürt wurde. Die WählerInnen der Sozialdemokratie (meist aus der ArbeiterInnenklasse) wechselten zu anderen Parteien oder gingen erst gar nicht zur Urne.
ODS – Der Verlierer? Ja, aber eigentlich der Gewinner!
Die “blauen” Rechtskonservativen von der ODS führten die Regierung von 2006 bis 2009. Es war eine Zeit voll von Skandalen und Korruption. Aus diesem Grund verlor die ODS mehr Stimmen als jede andere Partei. Bei den letzten Wahlen bekamen sie 35,4% – bei diesen nur 20,2%, d.h. sie verloren 43% ihrer WählerInnen. Der Austausch des Parteivorsitzenden einige Wochen vor den Wahlen und die Angst vor einem linken Sieg verhinderten einen noch tieferen Absturz. Ihre WählerInnen (Geschäftsleute und gehobene Mittelschichten) wechselten zu anderen Parteien, insbesondere zu TOP09.
TOP09 – Eine neue Partei? Nein, alt und altmodische Gesichter!
Die “violette” Partei TOP09 wurde vor einem Jahr gegründet, als eine Gruppe von ChristdemokratInnen ihre Partei verließ und, zusammen mit einer kleinen “BürgermeisterInnen-Partei” und einigen ex-Mitgliedern der ODS, die “neue” Partei ins Leben rief. TOP steht für “Tradition, Verantwortung, Wohlstand”. Sie sind eine sehr konservative Partei mit einem ausgesprochen neoliberalen Wirtschaftsprogramm. Sie übernahmen den Platz der ODS als Hardcore-Neoliberale Partei und gewannen eine Menge neuer WählerInnen. Überdies machten sie Karel Schwarzenberg zu ihrer politischen Führungsfigur, der ein altmodischer österreichischer Aristokrat ist, mit viel Charisma für rechte WählerInnengruppen und leider auch für die Jugend. Bei einer Studierendenabstimmung gewann TOP09 erdrutschartig. Bei den echten Wahlen gewannen sie 16,7% und landeten auf Platz drei.
KommunistInnen – Konstant? Ja, aber konstant schlecht!
Die “rote” Kommunistische Partei (KSCM) gewann 11,27%, vor vier Jahren waren es noch 12,81%. Der Vorsitzender der KommunistInnen sagte, er sei sehr zufrieden mit dem Ergebnis, denn sie haben jetzt 26 Abgeordnete, also dieselbe Anzahl wie vorher. Es ist wahr, dass andere parlamentarische Parteien mehr verloren, aber während einer kapitalistischen Krise sollte eine “kommunistische Partei” doch größere Ambitionen haben. Aber die KSCM ist nur eine klassische, reformistisch-parlamentaristische Partei mit einem starken stalinistischen Geruch. Während des Wahlkampfes waren sie absolut unsichtbar (selbst die SozialdemokratInnen waren in ihren Reden radikaler). Sie waren nicht in der Lage, junge Menschen oder Menschen im mittleren Alter zu gewinnen, und da die RentnerInnen langsam sterben, wird ihre Basis immer schmaler…
VV – Öffentliche Angelegenheiten? Wohl eher Geschäfts-Affären!
Die “zyanfarbene” Public Affairs (VV) Formation ist die fünfte Partei, die den Sprung ins Parlament geschafft hat. Es handelt sich um eine neue populistische “Rechts von der Mitte”-Partei, die von einem bekannten TV-Moderator und einigen jungen Frauen geführt wird. Aber im Hintergrund ziehen ein paar Prager Geschäftsleute die Fäden. Selbst in der bürgerlichen Presse und von anderen rechten Parteien wurden sie nicht “Öffentliche Angelegenheiten”, sondern “Geschäfts-Angelegenheiten” genannt, aber als sie 10,9% bei den Wahlen bekamen, verstummte diese Kritik, da man sie brauchte für die Bildung einer rechten Koalition.
ChristdemokratInnen und Grüne – Weg!
Zwei Parteien mussten das tschechische Parlament nach den Wahlen verlassen – die ChristdemokratInnen und die Grüne Partei. Die ChristdemokratInnen verloren eine Menge Mitglieder und UnterstützerInnen nach der Abspaltung von TOP09, aber ihr Niedergang begann schon etwas früher. Es ist das erste Mal seit 91 Jahren, dass ChristdemokratInnen nach demokratischen Wahlen nicht in einem Parlament sitzen. Die Grüne Partei kam erst 2006 ins Parlament, wo sie eine unpopuläre Rechtsregierung in den Sattel half, und es war schon vermutet worden, dass sie wieder aus dem Parlament rausfliegen würde.
Die Jugend hat geholfen, eine rechte Regierung zu schaffen
Es ist eine sehr traurige Nachricht, dass es meist junge Leute waren, die zum Sieg der rechten Parteien beitrugen. Sie sind frustriert über den Korruptionssumpf und den Lobbyismus; darum stimmten sie für “neue” Parteien – TOP09 und VV, ungeachtet der Tatsache, dass diese Studiengebühren einführen und die Drogenbekämpfung verschärfen wollen. Die Jungendlichen waren eine leichte Beute für die Manipulationen der bürgerlichen Medien und stimmten bei den Wahlen gegen ihre eigenen Interessen.
Was bedeutet das für die radikale Linke?
RIO ist Teil eines breiteren antikapitalistischen Projektes namens “Neue Antikapitalistische Linke”. Die NAL rief dazu auf, den beiden großen bürgerlichen ArbeiterInnenparteien (Kommunistische und Sozialdemokratische Partei) kritische Wahlunterstützung zu geben. Nicht, weil wir irgendwelche Illusionen in diese Parteien haben – wir verstehen dies als Mittel, um unsere antikapitalistische Politik zu vermitteln, und als eine Form von Einheitsfront mit den ArbeiterInnenmassen, die immer noch Illusionen in diese Parteien haben. So eine Taktik eröffnet Chancen auf einen Dialog mit reformistisch orientierten ArbeiterInnen. Die SozialdemokratInnen sind verbunden mit der ArbeiterInnenklasse durch die Gewerkschaftsbürokratie und die KommunistInnen stützen sich auf die Arbeitslosen, die ärmsten Schichten der Werktätigen und die RentnerInnen. Die NAL hatte einigen Erfolg mit kritischen Interventionen in Wahlkampfveranstaltungen der SozialdemokratInnen und KommunistInnen.
Wir erwarten größere Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse und ansteigende Kämpfe in der nächsten Periode als Antwort auf die neoliberale Agenda der Regierung. Wir glauben, dass die ArbeiterInnenklasse nicht durch den bürgerlichen Staat repräsentiert werden kann – unabhängig davon, wer ihn regiert. Es ist notwendig, die Institutionen des Kapitalismus zu zerschlagen und durch Organe von ArbeiterInnenmacht zu ersetzen. Die NAL als ein vereinheitlichendes Projekt kann den Kern einer neuen revolutionären Kampfpartei darstellen, und zwar weil wir sehen, dass alle etablierten Parteien im Interesse des Kapitals handeln und sie daher unfähig sind, eine Alternative zu sein. Das NAL-Programm und ihre Materialien (ähnlich derer der NPA in Frankreich) spricht viel über die Notwendigkeit von ArbeiterInnenkämpfen, aber unglücklicherweise ist es zweideutig in Bezug auf zentrale Fragen wie den bürgerlichen Staat und Parlamentarismus. Damit die NAL einen wirklichen Fortschritt für die sozialistische Linke in Tschechien darstellt, wird RIO dafür kämpfen, dass die NAL ein offen marxistisches Programm annimmt.
von Roman und Vojta, RIO, Prag
Übersetzung: Systemcrash, für RIO