Wie sollten SozialistInnen auf den Aufruf von Chavez zu einer Fünften Internationalen reagieren?
Bei einem internationalen Treffen von linken Parteien am 21. November in Caracas rief der Präsident von Venezuela, Hugo Chávez Frias, zur Formierung einer „Fünften Internationalen“ auf. Wie sollen SozialistInnen auf diesen Aufruf reagieren? Wir möchten die Gelegenheit nutzen, um etwas zur Debatte über die Frage, welche Art von Organisation im Kampf gegen den Kapitalismus notwendig ist, beizutragen. Wir denken, der erste Schritt muss sein, das politische Programm von Chávez’ Aufruf und die die sozialen Kräfte dahinter zu analysieren.
Dieser Aufruf wurde von politischen Parteien aus 40 Ländern unterschrieben (1). Die Liste beinhaltet neuere populistische Formationen aus Lateinamerika (wie die bolivianische MAS und natürlich die venezolanische PSUV), aber auch sogenannte “kommunistische” Parteien, welche kapitalistische Staaten führen (beispielsweise die chinesische und die vietnamesische Kommunistische Partei), linke reformistische Parteien (wie „Die Linke“ aus Deutschland, „Rifondazione“ aus Italien und die japanische KP) und auch ältere populistische Formationen (wie die FSLN aus Nicaragua und die FMLN aus El Salvador). Aber die Liste beinhaltet sogar Parteien, die vielleicht vor mehr als 50 Jahren als populistisch hätten gelten können, beispielsweise die peronistische Partei aus Argentinien oder die PRI aus Mexiko (welche das Land 70 Jahre geführt hatte). Es gibt auf dieser Liste des weiteren auch nationale Befreiungsbewegungen, welche bürgerliche Regierungsparteien wurden, wie die ZANU-PF aus Simbabwe und die Al Fatah aus Palästina. Zu guter Letzt gibt es auch noch Parteien, die überhaupt keine progressive Tradition haben, wie die liberale Partei von Honduras.
Der Aufruf zu einer neuen Internationalen ist ein Audruck der widersprüchlichen Situation auf der Welt zu Beginn eines neuen Jahrzehnts. Konfrontiert mit einer Wirtschaftskrise globalen Ausmaßes, kooperierten verschiedene kapitalistische Staaten bis zu einem gewissen Grad, um die Krise einzuschränken (beispielsweise bei den G20-Gipfeln). Die ArbeiterInnenklasse hingegen, welche die größten Lasten der Krise tragen muss, konnte bisher nicht international koordiniert darauf antworten.
Die Arbeiterklasse muss sich international organisieren, um ihre Interessen zu verteidigen. In der Geschichte gab es bis heute vier solcher ArbeiterInneninternationalen (2):
-Die Erste Internationale (1864-1876) etablierte die ersten politischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und unterstützte die Pariser Kommune, bevor sie der Reaktion und sektiererischen Flügelkämpfen zum Opfer fiel..
– Die Zweite Internationale (1889-1914) baute Massenorganisationen und Gewerkschaften auf, bis letztendlich ihre Parteien vor dem nationalistischen Druck kapitulierten, „ihre“ Regierungen im Ersten Weltkrieg zu unterstützen.
– Die Dritte Internationale (1919-1933) entstand aus den Ruinen der Zweiten und erarbeitete klare Trennlinien zwischen reformistischen und revolutionären Positionen, und baute Parteien auf, die ganz klar auf antikapitalistischen und antiimperialistischen Programmen basierten.
– Die Vierte Internationale (1938-1953) führte den Kampf für eine weltweite, revolutionäre Partei fort, nachdem die Dritte Internationale stalinisiert wurde und anfing, mit den herrschenden Klassen in Form von „Volksfronten“ zusammenzuarbeiten.
Jede von diesen Internationalen repräsentierte eine Weiterentwicklung des Programms für die Befreiung der ArbeiterInnenklasse. Jede von ihnen basierte auf der Idee, dass die ArbeiterInnen ihr eigenes Programm und ihre eigene Organisation brauchen, unabhängig von allen anderen sozialen Klassen. Chávez dagegen schlägt eine Internationale vor, die auch Sektoren der kapitalistischen Klassen einbezieht. Seine eigene Partei, die PSUV, basiert auf dieser Art der Allianz zwischen ArbeiterInnen und „bolivarianischen“ KapitalistInnen (3). Jetzt aber, aufgrund des gestiegenen imperialistischen Drucks und verbreiteter Unzufriedenheit, versucht er, dieses Multi-Klassen-Projekt zu internationalisieren. In diesem Sinne fällt sein Vorschlag politisch gesehen sogar hinter die Erste Internationale zurück – er schlägt also die Nullte Internationale vor.
Im letzten Jahr wurden viele Teile der internationalen Linken kritisch gegenüber Chávez‘ Außenpolitik, beispielsweise bei seiner Unterstützung für das Regime um Ahmadinedschad im Iran, dem Regime um Putin in Russland, oder der „kommunistischen“ Diktatur in China. Jedoch sind diese Allianzen keineswegs „Fehler“, die Chávez begeht (als ob er keine Zeitungen lesen würde!), vielmehr sind sie ein direkter Ausdruck von Chávez’ eigener sozialen Basis. Es ist wird zwar von linken Medien wenig aufgenommen, aber die venezolanische Regierung kann auch gegenüber der ArbeiterInnenbewegung repressiv vorgehen (4).
Zehn Jahre nachdem Chávez die Macht übernommen hat, ist Venezuela noch immer ein kapitalistisches Land. Seine Regierung genießt die Unterstützung der armen Massen, aber auch die eines Flügels der venezolanischen Bourgeoisie, welcher die alten oligarchischen Strukturen in der Wirtschaft aufbrechen und somit eine industrielle Entwicklung herbeiführen will (5). Dieser Sektor der Bourgeoisie möchte die historische Dominanz des US-Imperialismus in ihrem Land zurückzudrängen. Dies benötigt allerdings die Mobilisierung der ArbeiterInnen und Bäuerinnen/Bauern, mit möglichst kleinen materiellen Zugeständnissen und viel sozialistischer Rhetorik. Chavez‘ Regierung balanciert zwischen diesen zwei entgegengesetzten sozialen Kräften, welche in einer sehr wackeligen Allianz stehen, während sie die ganze Zeit das Privateigentum an Produktionsmitteln verteidigt.
Chávez’ „Fünfte Internationale“, falls es denn wirklich dazu kommt, wird eine Reihe von kapitalistischen Parteien und sogar Regierungen zusammenbringen. (Wenn man auf die Liste der UnterstützerInnen schaut, findet man mindestens 12 Regierungen, die vertreten sind, und sogar einige Ein-Parteien-Staaten!) Natürlich würde diese „Fünfte Internationale“ auch eine große Anzahl an ArbeiterInnen und Bäuerinnen/Bauern beinhalten, wie die PSUV auch. Aber die herrschende Klasse im Kapitalismus ist zahlenmäßig unbedeutend. Fakt ist, dass eigentlich jede kapitalistische Partei auf der Welt eine Mehrheit von NichtkapitalistInnen als Mitglieder hat. Entscheidend für die Klassenzugehörigkeit einer Partei ist nicht die soziale Zusammensetzung, sondern ihr Programm, ihre Führung und die Interessen, die sie vertritt.
Es ist strukturell unmöglich, eine bürgerliche Partei (oder Internationale) in eine ArbeiterInnenpartei umzuwandeln – genauso wie auch ein bürgerlicher Staat sich durch eine noch so kämpferische Rede nicht in einen sozialistischen umwandeln lässt. Der russische Revolutionär Leo Trotzki sprach sich in den 1920ern gegen die Pläne der StalinistInnen, die Chinesische Nationalpartei (Kuomingtang) in eine Revolutionäre Partei umzuwandeln, aus:
Die StalinistInnen „haben sich eingebildet, dass man durch einfache Neuwahl auf den Parteitagen der Kuomintang die Macht aus den Händen der Bourgeoisie in die Hände des Proletariats überführen kann. Kann man sich denn eine rührendere, idealistischere Anbetung der „Parteidemokratie“ in einer bürgerlichen Partei vorstellen? Die Armee, die Bürokratie, die Presse, das Kapital befinden sich doch in den Händen der Bourgeoisie. Deshalb und nur deshalb hat sie ja das Steuer der regierenden Partei in der Hand. Die bürgerliche „Spitze“ duldet und duldete die „Neunzehntel“ Linken – und was für eine Sorte von Linken – nur, soweit diese weder auf die Armee, die Bürokratie, die Presse, noch auf das Kapital Ansprüche erhoben. Mit diesen Machtmitteln hält die bürgerliche Spitze nicht allein die sogenannten Neunzehntel „linker“ Mitglieder der Partei in Schach, sondern auch die Volksmassen als Ganzes. Und die Theorie des Blocks der Klassen, die Theorie der Kuomintang als einer Arbeiter- und Bauernpartei, unterstützt dabei die Bourgeoisie aufs beste. Sobald aber die Bourgeoisie später wirklich mit feindlichen Massen zusammenstieß und sie niederkartätschte, da hat man bei diesem Zusammenstoß der beiden wirklichen Kräfte – der Bourgeoisie und dem Proletariat – nicht einmal einen Ton von den berühmten Neunzehnteln verlauten hören. Die armselige demokratische Fiktion muss vor der blutigen Wirklichkeit des Klassenkampfes spurlos verschwinden.“ (6)
In diesem Sinne ist es fatal, dass einige trotzkistische Tendenzen andeuten, dass Chávez’ „Fünfte Internationale“ ein revolutionäres, sozialistisches Instrument zur Befreiung der Menschheit werden könnte. Die bürgerlichen Staaten hinter diesem Aufruf können nicht für den Kampf gegen genau das System, welches sie verwalten und verteidigen, gewonnen werden.
Die ArbeiterInnenklasse sollte jede fortschrittliche Maßnahme einer populistischen Regierung gegen den imperialistischen Druck verteidigen, also gegen Putschversuche, Diffamierungen etc., wie dies die Massen in Honduras mit ihrem heroischen Kampf gegen den von den USA initiierten Putsch diesen Sommer gemacht haben – selbst wenn der abgesetzte Präsident ein Politiker der herrschenden Klasse war. Aber diese Art der antiimperialistischen Einheitsfront muss auf der absoluten politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse basieren, denn die bürgerlichen Kräfte werden immer Kompromisse mit dem Imperialismus einzugehen versuchen.
Das kann man an einem Beispiel ganz gut sehen, dass nämlich verschiedene lateinamerikanische Regierungen gegen den honduranischen Putsch verbal protestierten (Chávez’ in Venezuela, Lula in Brasilien, Kirchner in Argentinien usw.), jedoch haben sie keine kontinentweite Mobilisierung organisiert, um das Putschregime zu stürzen. Der Grund dafür ist einfach: eine solche Mobilisierung hätte über den Kampf gegen diesen Putsch hinaus gehen können, und so womöglich die Stabilität der kapitalistischen Herrschaft im Allgemeinen gefährdet. Folglich fehlt es diesen „linken“ Regierungen auch nicht an einer Art Internationalen – es fehlt ihnen schlichtweg an politischem Willen!
Bei dem am Anfang erwähnten Treffen im April 2010 in Caracas, zu dem Chávez’ einlud, könnte es vielleicht möglich sein, einen revolutionären Pol aufzubauen, der für eine unabhängige Politik der ArbeiterInnenklasse kämpft. Ein solcher Pol kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn er auf dem Verständnis basiert, dass es unmöglich ist, kapitalistische Parteien oder Staaten lediglich durch das Gewinnen von Wahlen in sozialistische zu verwandeln. Die einzige Möglichkeit, den Kapitalismus zu beenden, liegt in einer Revolution, angeführt durch die ArbeiterInnenklasse, und um dies zu erreichen, braucht unsere Klasse eine eigene Organisation.
Unsere Ablehnung Chavez‘ „Nullten Internationalen“ gegenüber ist keineswegs ein Dogma über Namen oder Traditionen. Eine neue Internationale muss auf den Traditionen der vier ArbeiterInnen-Internationalen basieren, vor allem auf der politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse. Die ArbeiterInnenklasse braucht mehr als eine Internationale Struktur, ohne Rücksicht auf deren Klassencharakter oder deren Programm – wenn irgendeine Internationale ausreichen würde, dann würde die Sozialistische Internationale, welche immer noch existiert und Millionen Mitglieder hat und dutzende sozialdemokratische, bürgerliche Regierungen rund um die Welt stellt, locker genügen!
Chávez sagte einmal, auf ein bekanntes Mexikanisches Lied Bezug nehmend: „Das Fünfte kann nicht schlecht sein.“ (7) Als revolutionäre SozialistInnen müssen wir sagen, dass eine fünfte Internationale, gegründet von einer Allianz aus „linken“ kapitalistischen Parteien und Staaten, für die internationale ArbeiterInnenklasse wohl nichts Gutes wäre!
Revolutionäre Internationalistische Organisation, 27. Januar 2010
Übersetzung: Bert, RIO Schweiz
Anmerkungen:
(1)Um die Liste zu sehen: “Ecos del Encuentro Internacional de partidos de Izquierda en Caracas.” http://www.resumenlatinoamericano.org/index.php?option=com_content&task=view&id=1514&Itemid=6&lang=es
(2)Es ist schwer zu sagen, wann genau die jeweiligen Internationalen geendet haben. Die Erste wurde 1876 aufgelöst. Die Zweite kollabierte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, aber existierte weiter als Sozialistische Internationale – bis heute. Die Dritte Internationale wurde von Stalin 1943 aufgelöst, aber ihre Kapitulation vor dem Aufstieg des Faschismus in Deutschland machte schon 1933 unbestreitbar klar, dass sie nicht mehr länger eine revolutionäre Internationale war. Die Vierte Internationale existiert in vielen Teilen bis heute. Die erste große Spaltung war 1953, aber schon 1949 gab diese Internationale den Marxismus auf, indem sie sich dem jugoslawischen Stalinisten Tito anpasste.
(3)Für unsere Analysen der PSUV, siehe: http://www.revolution.de.com/themen/venezuela/psuv.html
(4)Beispiele finden sich bei den ArbeiterInnenprotesten in Sanitarios de Maracay und SIDOR, welche gewaltsam von der Polizei angegriffen wurden, oder bei der Metro de Caracas, welche von Chávez persönlich angegriffen wurde.
(5)Ein Interview mit dem venezolanischen Kapitalisten Alejandro Uzcátegui: http://www.permanentrevolution.net/?view=entry&entry=2042
(6)Leo Trotzky: Die internationale Revolution und die Kommunistische Internationale, Kapitel 10: http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1928/kritik/teil3c.htm
(7) “No hay quinto malo.“ Das lustige an diesem Zitat ist, dass die Pointe des Songs ist, dass auch das Fünfte, natürlich, schlecht ist.
February 9th, 2010 at 10:20
Der Artikel wurde auch hier veröffentlicht:
http://www.5internationale.eu/
February 12th, 2010 at 01:00
Auch hier wurde er gespiegelt:
http://www.trend.infopartisan.net/trd0210/trd430210.html
February 15th, 2010 at 16:52
vielleicht im Zusammenhang damit interessant: http://www.cpgb.org.uk/article.php?article_id=1002564 … zur Spaltung der IMT (“Ted Grant-Tendenz”)
February 15th, 2010 at 17:00
Ich war auch sehr überrascht, dass die IMT ihre größte Sektion in der “Ersten Welt” (Spanien) verloren hat.